Türkei

Auf Konfrontation

Staatspräsident Erdogan (hier mit Ehrengarde am 15. Juli in Ankara) will die Türkei zu ihrer »wahren Größe« zurückführen. Foto: dpa

Die Ausfälle des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Israel häufen sich. So geißelte er kürzlich in seiner Adresse an die UN-Vollversammlung »die Besatzung und Unterdrückung in Palästina« als »blutende Wunde der Menschheit« und bezichtigte den jüdischen Staat, seine »schmutzige Hand« über Jerusalem zu halten.

Er setzte damit die Reihe seiner antiisraelischen Hasstiraden der vergangenen Jahre fort, in denen er Israel unter anderem als »Terrorstaat« bezeichnet hatte.

Ideologie Überraschen kann das nicht mehr: Erdogans Israelfeindschaft ist der genuine Ausfluss seiner islamistischen Ideologie, die er in der Türkei mit wachsender Aggressivität durchsetzt.

Jüngst sandte er in einer Rede vor dem türkischen Parlament jedoch ein noch weiter gehendes bedrohliches Signal aus: Er nannte Jerusalem »unsere Stadt« und bezog sich damit auf das Osmanische Reich, unter dessen Herrschaft die heutige Hauptstadt Israels bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gestanden hatte. Implizit erhob Erdogan damit einen türkischen Besitzanspruch auf Jerusalem.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass Ankara seinen antiisraelischen Aggressionskurs weiter verschärfen wird. Nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain diplomatische Beziehungen zum jüdischen Staat aufgenommen haben und es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis auch Saudi-Arabien seine bereits jetzt engen Beziehungen zu Israel offiziell institutionalisiert, wittert Erdogan offenbar eine epochale Gelegenheit.

Konflikt Er will die Türkei als den einzig wahren Verteidiger der palästinensischen Sache und historisch berufenen Anwalt der islamischen Welt insgesamt profilieren und so die diesbezügliche Lücke füllen, die durch die arabische Annäherung an Israel entsteht. Dabei dürfte er darauf spekulieren, im weiter eskalierenden Konflikt zwischen den sunnitisch-arabischen Staaten und dem Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten als lachender Dritter dazustehen.

Eine unmittelbare militärische Bedrohung Israels wie durch den Iran geht von Erdogans Türkei zwar noch nicht aus. Doch berührt nicht zuletzt seine Unterstützung für die Terrororganisation Hamas die Sicherheitsinteressen des jüdischen Staates auf empfindliche Weise. Und Erdogans Bestreben, in die Fußstapfen der Osmanen zu treten und die Türkei als Hegemonialmacht im Nahen Osten zu installieren, nimmt immer beängstigendere Ausmaße an.

Berg-Karabach Nach seiner militärischen Intervention in Syrien und seiner massiven Einmischung in den libyschen Bürgerkrieg greift Ankara nun auch kriegerisch in den bewaffneten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach ein. Das von ihm unterstützte, überwiegend muslimische und turksprachige Aserbaidschan betrachtet es dabei nicht nur als politisch-strategischen, sondern auch als ethnischen Vorposten der Türkei im südlichen Kaukasus.

Er nannte Jerusalem »unsere Stadt« und bezog sich damit auf das Osmanische Reich.

Darüber hinaus treibt Erdogan den Plan voran, die Türkei als eine maßgebliche Seemacht im Mittelmeerraum zu etablieren. Über unmittelbare wirtschaftliche Interessen hinaus steckt dieses von großtürkischen Nationalisten seit vielen Jahren propagierte Projekt, bekannt unter dem Schlagwort »Blaue Heimat«, hinter den jüngsten türkischen Provokationen im Streit um die Erdgasförderung vor der griechischen und südzyprischen Küste.

Islamismus, großtürkischer Nationalismus und neo-osmanischer Revisionismus fließen unter der Herrschaft Erdogans zu einer gefährlichen Mixtur zusammen. Nach Bedarf bedient er sich des einen oder anderen Elements aus diesem ideologischen Konglomerat – je nachdem, wie es in die Demagogie passt, mittels der er seine persönliche Machtposition abzusichern pflegt. Der Antisemitismus bildet darin eine feste Konstante.

Putin Neben Putins Russland entsteht dem demokratischen Europa in Erdogans Türkei somit ein weiterer gefährlicher, von neoimperialen Restaurationsgelüsten angetriebener geostrategischer Gegner. Nicht nur aus Solidarität mit Israel müssen die Europäer – und an erster Stelle Deutschland, das stets seine »besondere historische Verantwortung« gegenüber dem jüdischen Staat hervorhebt – daraus endlich Konsequenzen ziehen und Sanktionen gegen Erdogans Regime verhängen. Sie müssen sich eingestehen, dass dieses kein vorübergehend verirrter Partner ist, sondern bei aller unberechenbarer Sprunghaftigkeit einer globalpolitischen Agenda folgt, die der des demokratischen Westens diametral entgegengesetzt ist.

Dabei steckt der Westen jedoch in einem Dilemma: Als Teil des transatlantischen Bündnisses scheint die Türkei unverzichtbar – als Brücke zum wie auch als Puffer gegenüber dem Nahen Osten, aber auch gegenüber Russland.

Doch wie kann die Türkei auf Dauer in der Nato bleiben, wenn sie de facto immer unverblümter gegen deren Interessen handelt? Schließlich versteht sich die Nato nicht nur als ein militärisches, sondern auch als ein Wertebündnis. Bei nüchterner Betrachtung aber sucht man die Werte, die der Westen mit Erdogans Türkei noch gemeinsam hat, zunehmend vergeblich.

Richard Herzinger ist Publizist in Berlin.

Nahost

Israel: Wir stehen kurz vor Abschluss des Einsatzes in Gaza

US-Präsident Donald Trump sagte jüngst, dass es bald im Gaza-Krieg eine Waffenruhe geben könnte. Auch Israels Verteidigungsminister Katz äußert sich nun optimistisch

 30.06.2025

Debatte

Anti-Israel-Parolen: USA entziehen britischer Band Visa

Ein britischer Festivalauftritt mit israelfeindlichen Parolen wird live von der BBC übertragen. Der Sender steht unter Druck – und die USA kündigen an, der Band die Einreise zu verweigern

 30.06.2025

Interview

Nuklearforscher: »Das iranische Atomprogramm neu aufzubauen wird Jahre dauern«

Georg Steinhauser über die israelischen und amerikanischen Schläge gegen Atomanlagen im Iran, die Eigenschaften von Uran-235 und mögliche Szenarien für die Zukunft

von Michael Thaidigsmann  30.06.2025

Israel

Früherer Geheimdienstchef der israelischen Armee: Jerusalem musste das Atomprogramm der Mullahs stoppen

Im Juni 1981 war Amos Yadlin an der Zerstörung von Saddam Husseins Kernreaktor beteiligt. Nun hat er ausführlich über Israels Präventivschlag gegen das Mullah-Regime und den angeblichen »Völkermord« in Gaza Auskunft gegeben

von Imanuel Marcus  30.06.2025 Aktualisiert

Drohung

Iranische Zeitung fordert Todesstrafe gegen IAEA-Chef Grossi

Das staatliche Propagandablatt wirft Rafael Grossi vor, für Israel spioniert zu haben

 30.06.2025

Düsseldorf

Islamistischer Tiktok-Star gesteht Spendenbetrug

Der Islamist »Abdelhamid« hat unter seinen Followern Spenden »für Palästina« gesammelt und diese dann unter anderem für einen BMW ausgegeben. Das gestand er nun vorm Düsseldorfer Landgericht

von Martin Höke  30.06.2025

Düsseldorf

NRW: Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen

Fast 700 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert - ein Zuwachs von 27 Prozent

 30.06.2025

Uni Duisburg

Online-Mahnmal gegen Schändung jüdischer Friedhöfe gestartet

Die Universität Duisburg-Essen hat ein Online-Projekt zum Schutz jüdischer Friedhöfe vorgestellt. Grundlage dafür ist eine interaktive Karte

von Raphael Schlimbach  30.06.2025

Atomprogramm

Iran signalisiert Bereitschaft zu Verhandlungen

Nach den US-Angriffen auf iranische Nuklearanlagen wurden die Atomgespräche zunächst unterbrochen. Nun mehren sich Signale Teherans, an den Verhandlungstisch zurückzukehren - unter Bedingungen

 30.06.2025