Enissa Amani ließ sich auch von Zwischenrufern nicht stoppen. Nur mit einem Mikrofon bewaffnet trat die deutsche Aktivistin und Komikerin mit iranischen Wurzeln – Amani wurde 1981 in Teheran als Tochter zweier linker Dissidenten geboren, die gegen das Mullah-Regime im Widerstand waren – am Wochenende bei einer »pro-palästinensischen« Kundgebung in Berlin auf. Und auch rhetorisch ließ sie sich nicht lumpen: Amani stellte den Kampf Nelson Mandelas gegen die Apartheid in Südafrika und den Kampf der Palästinenser gegen Israel auf eine Stufe.
Gewalt, betonte sie zwar, Gewalt sei niemals gerechtfertigt. »Selbst wenn du der unterdrückteste Mensch dieser Erde bist, bringst du nicht einen anderen um, um aus dieser Unterdrückung herauszukommen.« Doch beim Kampf der Palästinenser gegen Israel war es um das hehre Prinzip des Sich-nicht-Umbringens schnell geschehen, und die 43-Jährige scheint dem bewaffneten Widerstand der Hamas durchaus etwas abgewinnen zu können. Zumindest hält sie ihn für legitim -»from the River to the Sea«, versteht sich.
Denn als sie die ersten Worte der Hamas-Losung in den Mund nahm, antworteten ihr einige der rund 150 Demonstranten am Potsdamer Platz sogleich mit »Palestine will be free«. Und als Amani versuchte zu erklären, dass es doch falsch sei, die Hamas für alles verantwortlich zu machen, rief ein Mann im Publikum zustimmend »Hamas, Hamas!« dazwischen. Amani musste die Anwesenden bitten, sie nicht zu unterbrechen. Was sie zu sagen habe, sei nämlich sehr wichtig, auch wenn nicht alle ihrer Meinung seien.
Dann kam die Komikerin auf Nelson Mandela zu sprechen. Der auch Madiba (»Väterchen«) genannte Mann, der fast drei Jahrzehnte lang vom Apartheid-Regime eingekerkert wurde, 1990 vom damaligen Präsidenten Frederik Willem de Klerk freigelassen wurde und 1993 gemeinsam mit diesem den Friedensnobelpreis erhielt, dieser Mandela habe »immer« gesagt, Widerstand müsse bewaffnet sein, behauptete Amani. Quellen lieferte sie nicht.
»Nelson Mandela wird von der Welt geliebt, [er] hat immer gesagt: Widerstand muss bewaffnet sein. Nelson Mandela wurde in Interviews gefragt. Der Mensch war 29 Jahre im Gefängnis. Ganz oft wurde ihm das Angebot gegeben von der südafrikanischen Regierung: Wir lassen Sie raus … Wenn Ihre Partei die Waffen abgibt, lassen wir Sie raus aus dem Gefängnis. Und Nelson Mandela hat dazu immer gesagt: Warum soll ich meine Waffen abgeben, wenn ihr noch Waffen habt? Wenn wir unsere Waffen abgeben, werden wir niemals befreit«, rief Amani mit sich überschlagender Stimme dem Publikum zu. Sie verehre Nelson Mandela und die ganze Welt verehre ihn.
Dann kam sie zurück auf den Slogan »From the River to the Sea«. Einige deutsche Gerichte sehen ihn als Aufruf zur Auslöschung Israels an. Doch eine Enissa Amani in ihrem Lauf, hält weder Ochs noch Strafrecht auf. »Wenn ihr euch hier hinstellt und sagt ‚From the river to the sea, Palestine needs to be free‘, was ich 100 Prozent unterschreibe, was nämlich einfach nur bedeutet, dass wir in dieser Form, wie dieser Staat« – sie meinte wohl Israel – »existiert mit Palästinensern als Menschen zweiter, dritter, vierter, fünfter, siebte Klasse, mit unterschiedlichen Pässen, dass diese Form keine richtige Demokratie ist und das kein Staat ist, der so auf diese Weise legal arbeiten darf, das gehört international rechtlich verfolgt …«
Grammatikalisch war der Satz an dieser Stelle schon nicht mehr zu retten. Das merkte wohl auch die Wortkünstlerin Amani. Schnell schob sie nach: »Und wir werden auch nicht die Fresse halten, bevor Netanjahu nicht verhaftet ist.« Damit hatte sie ihr Publikum wieder ganz für sich vereinnahmt.
Spott von Karoline Preisler
Doch die Ansprache ging noch weiter. Die Palästinenser seien »eines der unterdrücktesten Völker dieser Erde«, stellte Enissa Amani klar, denn 80 Jahre lang sei deren Schicksal »ungehört und ungesehen in dieser Weltgeschichte« gewesen.
Erst seit »zwei Jahren« (gemeint war wohl der 7. Oktober 2023) sei »die Welt ein bisschen wacher geworden« bei diesem Thema. Auch wenn das eine steile These war (ganz uninteressiert war die Weltöffentlichkeit auch vorher nicht am Nahostkonflikt): Den Leuten am Potsdamer Platz gefiel’s. Enissa Amani hat offensichtlich ihr Thema gefunden. Auch wenn das nicht halb so witzig ist wie die Themen, die sie sonst bei ihren Auftritten auf der Bühne durchnimmt.
Im September wollte die Kabarettistin eigentlich mit der Global Sumad Flotilla in Richtung Gazastreifen schippern. Sie wolle so »gewaltfrei und legal auf das Unrecht aufmerksam machen und Hilfe bringen«, schrieb sie auf ihrem Instagram-Kanal. Doch mit dem Widerstand gegen Israel wurde es nichts. Amani erkrankte und musste die Flottille vorzeitig verlassen. Außer Spesen und ein paar Artikeln in den Medien war nicht viel gewesen.
Karoline Preisler, auch sie Menschenrechtsaktivistin und auch sie regelmäßig bei antiisraelischen Aufmärschen in Berlin zugange, konnte sich den Auftritt Amanis nur am Bildschirm ansehen. Von der »Jüdischen Allgemeinen« um eine Reaktion gebeten, sagte Preisler: »Enissa Amani ist Komikerin. Mit ihrem schrägen Mandela-Hamas-Vergleich hat sie aber einen ganz miesen Job hingelegt. Damit liegt sie nur im Dumpfbacken-Bingo vorn.«
Damit dürfte Preisler nicht ganz falsch liegen. Wie dem auch sei: Nelson Mandela konnte sich nicht gegen die politische Vereinahmung Amanis wehren. Er starb schon 2013. Ob aber ausgerechnet Madiba als Befürworter des bewaffneten Kampfes in Erinnerung bleiben wollte, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.