USA

»Andere Prioritäten«

Der frühere Chefunterhändler Israels verhandelte in den 90er-Jahren den Frieden mit Syrien. Foto: imago/allefarben-foto

Herr Rabinovich, Sie waren unter Yitzhak Rabin israelischer Botschafter in den USA und Chefunterhändler Israels in den Friedensverhandlungen mit Syrien in den 90er-Jahren. Welche Politik strebt der neue amerikanische Präsident Joe Biden in Bezug auf die Palästinenser an?
Im Vergleich zu Trump wird es eine andere Politik und Rhetorik geben, das hat Biden ja bereits deutlich gemacht. Er wird von einigen Schritten seines Vorgängers abweichen, etwa der Schließung des PLO-Büros in Washington und des US-Generalkonsulats im Westjordanland. Unter Biden wird es wieder finanzielle Unterstützung für die Palästinensische Autonomiebehörde geben sowie Einwände gegen die Schaffung und Erweiterung von Siedlungen und dortige Bautätigkeiten.

Und wie sieht es hinsichtlich einer Friedensinitiative aus?
Zumindest in den ersten beiden Jahren im Amt wird es keine Friedensinitiative für den israelisch-palästinensischen Konflikt geben, weil Biden versteht, dass sich eine solche nicht so leicht und schnell realisieren ließe. Ohnehin wird seine Administration andere Prioritäten haben – die Pandemie und die wirtschaftliche Situation zu Hause, die Herausforderungen mit China und Russland, der Wiederaufbau von Beziehungen zu Westeuropa und anderen Verbündeten, das Klima. Erst dann kommt der Nahe Osten.

Für Trump waren die Evangelikalen eine wichtige Zielgruppe, die auch seine Nahostpolitik geprägt hat. Welche Rolle spielen sie für Biden?
Trumps Geschäft bestand ja vor allem darin, seine Wählergruppen zu versorgen. Biden und die Demokraten wissen, dass sie bei den Evangelikalen nicht zu suchen brauchen. Klar, kein Politiker kann in der Öffentlichkeit die Opposition ignorieren, aber die Evangelikalen werden im Vergleich zu Trumps Amtszeit kaum eine Rolle spielen.

Wie wird Biden auf den Teil der antiisraelischen oder zumindest israelkritisch eingestellten Demokraten reagieren?
Innerhalb der Partei gibt es wichtigere kontroverse Themen. Sowohl in seinem Temperament als auch in seiner Weltanschauung ist Biden ein Mann der Mitte, er unterstützt die Linken nicht, kann sie aber auch nicht ignorieren, erst recht nicht vor dem Hintergrund der sich wandelnden Altersstruktur und der Präsenz von Minderheitengruppen in der Partei. In einigen Angelegenheiten wird er sie berücksichtigen müssen, in anderen aber klar Stellung beziehen – etwa in Bezug auf Israel. Alexandria Ocasio-Cortez oder Bernie Sanders werden hier aber die Politik nicht wirklich beeinflussen können.

Gegen die UN-Flüchtlingsorganisation UNRWA ging Trump hart vor. Wie macht Biden voraussichtlich weiter?
Die UNRWA verewigt den Konflikt. Etwa 600.000 palästinensische Flüchtlinge haben Palästina 1948/49 verlassen − heute sind es fünf Millionen. Vor dem Hintergrund, dass es in der gesamten Region Millionen Flüchtlinge gibt, ist es ohnehin fragwürdig, dass die Palästinenser eine eigene Agentur haben. So ein Gebilde entwickelt ja auch ein bürokratisches Interesse, sich selbst zu erhalten und das Problem zu perpetuieren.

Dennoch kann man sich nicht über Nacht daraus zurückziehen.
Man müsste der UNRWA Zeit geben, die Zahlen in, sagen wir, fünf Jahren zu reduzieren. Zudem sollte man denen, die Hilfe brauchen, diese Hilfe auf anderem Wege zukommen lassen. So etwas in dieser Art wird die Biden-Administration umsetzen.

Trump schreibt sich den Normalisierungsprozess zwischen Israel und vier arabischen Staaten auf die Fahnen. Welches Erbe tritt Joe Biden hier an?
Die Abraham Accords sind eine positive und zukunftsweisende Initiative für die Region. Biden wird voranschreiten – aber in einem anderen Tempo und vorsichtiger. Es gibt ja etwa die Kritik, dass der Deal mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Verkauf von F-35-Kampfjets und der Deal mit Marokko die Anerkennung marokkanischer Souveränität über die Westsahara beinhaltet.

Welche Länder kommen als Nächstes?
Vielleicht Saudi-Arabien, Oman und auch Tunesien. Saudi-Arabien braucht ja eine Beziehung zu Biden und den Demokraten. Das bringt uns zur größeren Frage nach der Haltung der neuen Administration zu amerikanischen Verbündeten, die diktatorisch oder autokratisch sind und erheblich gegen Menschenrechte verstoßen. Und da kommen einem natürlich Ägypten oder Saudi-Arabien in den Sinn. Und da die Obama-Administration zu beiden Ländern ein schwieriges Verhältnis hatte, sind diese nun beunruhigt. Ich denke, Biden wird nicht so weit gehen wie Obama, aber er wird diesen Ländern Konzessionen abringen.

Inwiefern?
Vielleicht ist Teil davon auch eine Verbesserung der saudischen Haltung zu Israel. Allerdings gibt es in Saudi-Arabien selbst eine Wählerschaft sowie eine Opposition, die berücksichtigt werden muss. Zudem sehen sie sich als Führung der sunnitischen Welt, sodass sie vorsichtig sein müssen. Gleichzeitig erlaubt Saudi-Arabien schon jetzt Flüge im eigenen Luftraum, was sehr wichtig ist für Israel. Weitere solcher Gesten könnten hinzukommen. Genauso bei Oman, zu dem es bereits versteckte Beziehungen gibt. Doch hier denke ich, dass sich das Regime weiter festigen muss, bevor es in Bezug auf Israel voranschreitet. Aber es kann passieren, und ich halte es sogar für wahrscheinlicher als bei Saudi-Arabien.

Was wird Joe Biden tun, um den Iran in die Schranken zu weisen?
Deutlich gemacht hat Biden ja schon, dass er zurück will zum Aktionsplan »Joint Comprehensive Plan of Action« (JCPOA). Jetzt geht es um die Taktik. Wir müssen uns klarmachen, dass der Iran ein sehr erfahrener, robuster Verhandlungspartner ist, mit dem man wirklich feilschen muss. Ich hoffe, die USA haben genügend Widerstandskraft und Verhandlungsfähigkeiten, um sich den iranischen Teams entgegenzustellen. Denn anstelle von Zugeständnissen brauchen wir eine verbesserte Version des Abkommens. Die Sunset Clauses, die Auslaufklauseln, müssen verändert sowie das Raketenprogramm und allgemein das unakzeptable Verhalten des Iran als Bully in der Region berücksichtigt werden. Die Idee, der iranischen Nuklear-Herausforderung nicht militärisch, sondern diplomatisch zu begegnen, akzeptiere ich. Aber das JCPOA hat Löcher, die dringend geflickt werden müssen.

Mit dem israelischen Historiker und Diplomaten sprach Till Schmidt.

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