Dresden

Am 9. November

Lutz Bachmann mit »Lügenpresse«-Shirt und Tatjana Festerling (ganz rechts) auf dem Dresdner Theaterplatz Foto: dpa

An diesem milden 9. November ist es fast wie jedes Jahr in Dresden. Schüler und Erwachsene verlesen an der Kreuzkirche die Namen ermordeter Juden. Eine lange Liste. Dresden war eine Hochburg der NSDAP. Daran erinnert am Nachmittag Oberbürgermeister Dirk Hilbert. Es ist ein jährlich wiederkehrendes Ritual mit anschließender Kranzniederlegung an der Stele. Der Gemeindechor singt, Rabbiner Alexander Nachama betet das El Male Rachamim für die Opfer der Schoa, wie immer.

Und doch ist etwas anders an diesem 77. Jahrestag der Novemberpogrome. Die Gemeindevorsitzende Nora Goldenbogen hat Mühe, dafür Worte zu finden. »Ich kann und will das nicht trennen von dem, was in einigen Stunden auf dem Theaterplatz und der Innenstadt ablaufen wird«, sagt sie mit Bezug auf die montägliche Pegida-Kundgebung auf dem Theaterplatz. In der NS-Zeit hieß er »Adolf-Hitler-Platz«.

lügenpresse Nora Goldenbogen zitiert Victor Klemperers Buch LTI und nennt Begriffe aus dem Sprachgebrauch der Nazis wie »Volksverräter« und »Lügenpresse«, jeden Montag skandiert auf den Pegida-Demonstrationen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal in einer solchen Situation hier stehen werde. Ich weiß, dass sich viele der dort mitlaufenden Demonstranten missverstanden fühlen, wenn sie als Neonazis beschimpft oder in deren Nähe gerückt werden«, sagt Goldenbogen.

Doch sei es nötig, an einige Tatsachen zu erinnern: Auch am 9. November 1938 hatte es eine große Kundgebung in Dresden gegeben. Die Route führte durch die König-Johann-Straße (die heutige Wilsdruffer-Straße), über die Prager Straße zum Hauptbahnhof. Auf dem Weg dorthin plünderten die Demonstranten jüdische Geschäfte und Wohnungen. In der Nacht brannte die Synagoge am Zeughausplatz.

Die Zeitungen schrieben von der »kochenden Volksseele«. »Hier war es, das Wort Volk, das damals so gern benutzt wurde«, sagt Goldenbogen. Sie nimmt Bezug auf den Slogan »Wir sind das Volk« der demonstrierenden Patrioten auf dem Theaterplatz. »Volksgenosse, Volksschädling, Volksverräter. Man sollte aufmerksam sein und protestieren, wenn sie heute wieder ungeniert benutzt werden.«

Begriffe wie Volksverräter hätten auch heute ihre Berechtigung, behauptete Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling ein paar Stunden später vor der Semperoper. Man dürfe sich nicht das Wort verbieten lassen, schon gar nicht von den Linken, von der Lügenpresse. Geschickt greift sie ins Sprachreservoir der Psychologie. Wer Probleme habe, müsse lernen loszulassen. Und Deutschland habe ein Problem. »Seid ihr bereit loszulassen?«, fragt Festerling die versammelte Menge mit den Deutschlandfahnen. »Dann erklären wir doch hier und heute, am 9. November 2015, 70 Jahre nach dem Kriegsende, den deutschen Schuldkomplex der zwölfjährigen Naziherrschaft offiziell für beendet.« Beifall, Jubel. Und die ehemalige Hamburger AfD-Aktivistin legt nach: Man müsse die Vergangenheit loslassen, »deshalb ist Schluss mit der künstlichen Naziparanoia«. Der deutschen Linken wirft die Pegida-Wortführerin »kranken faschistischen Nazi-Gesinnungsterror« vor.

datum Für Pegida-Gründer Lutz Bachmann ist die Pogromnacht 1938 ein Datum unter vielen, zwischen der Abdankung des Kaisers 1918 und dem Mauerfall. »Dieser Tag darf nie vergessen werden, aber wie ihr in den letzten Minuten hören konntet, ist es eben nicht nur der 9. November 1938, der die deutsche Geschichte prägte, und es sind nicht nur diese zwölf Jahre Herrschaft eines irren Diktators, die Deutschland formten.«

Am Ende verläuft dieser Pegida-Montag ruhig. Bachmann hat die Mitläufer aufgerufen, keine Parolen wie »Volksverräter« oder »Lügenpresse« zu skandieren. Denn, so Bachmann, »wir sind die Guten«, nicht die Krawallmacher bei der Gegendemo.

Dort geht es am Abend tatsächlich laut zu. Ein langer Demonstrationszug bewegt sich vom Hauptbahnhof in Richtung Innenstadt, mit Sprechchören und Musik. »Pegida, Faschistenpack, wir haben euch zum Kotzen satt«. Oder »Refugees Welcome«. Sie alle folgen einem Aufruf der Initiative »Herz statt Hetze«. Viele haben sich zuvor an der Online-Petition für ein Pegida-Verbot beteiligt. 100.000 Klicks, vergeblich.

Es gebe keine rechtliche Handhabe, sagt die Stadt. Man dürfe Pegida nicht die Straße überlassen, meint eine Demonstrantin, vor allem nicht an solch einem Tag. Auf dem Rathenauplatz legt der Zug eine Pause ein. Fast unüberschaubar ist die Menschenmenge zwischen Synagoge und Stele. Dort liegen die Kränze vom Nachmittag.

Nuklearprogramm

Atominspektoren der IAEA verlassen den Iran

Nach dem Krieg mit Israel setzt Teheran weiter auf Konfrontation mit der Internationalen Atomenergiebehörde

 05.07.2025

Extremismus

BSW-Chefin Wagenknecht will Brandmauer zur AfD einreißen 

Gespräche zwischen BSW und AfD? Landespolitiker in Thüringen haben es vorgemacht. Selbstverständlich sei das auch auf Bundesebene möglich, sagen beide Seiten

von Torsten Holtz  04.07.2025

Medien

Eurovision künftig ohne Israel?

Die Regierung droht mit der Schließung des öffentlich-rechtlichen Senders Kan. Das könnte das Aus für die Teilnahme am weltgrößten Gesangswettbewerb sein

von Sabine Brandes  04.07.2025

Berlin

Russland steuert Hetzkampagne gegen Nicholas Potter

Das Propaganda-Portal »Red« ist Treiber der Diffamierungskampagne gegen den Journalisten. Das Auswärtige Amt ist sich nun sicher, dass Russland hinter dem Portal steht

 04.07.2025

USA

Edan Alexander bedankt sich bei Donald Trump

Die freigelassene Geisel Edan Alexander trifft erstmals US-Präsident Trump. Um sich zu bedanken und auch, um darauf zu drängen, alle verbleibenden Geiseln so schnell wie möglich nach Hause zu holen

 04.07.2025

Rassistischer Polizist bleibt im Dienst

Gericht »nicht auf rechtem Auge blind«

Der Verwaltungsgerichtshof München steht in der Kritik, weil er einen ehemaligen Personenschützer von Charlotte Knobloch im Dienst belassen hat - obwohl dieser Juden in KZs wünschte. Jetzt wehrt sich das Gericht

 04.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Wie viel Migration verträgt das Klassenzimmer – und sind Grenzen nötig?

Bundesbildungsministerin Prien hält eine Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund für denkbar

 04.07.2025

Österreich

Hitler-Geburtsort Braunau benennt Straßennamen mit NS-Bezug um

Ausgerechnet in Adolf Hitlers Geburtsort gibt es bis dato nach Nationalsozialisten benannte Straßen. Das soll sich ändern - und trifft bei einigen Politikern auf Widerstand

 03.07.2025

Hamburg

Hamas-Anhänger tritt bei staatlich gefördertem Verein auf

Das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland wird durch das Programm »Demokratie leben« gefördert und lud einen Mann ein, der Sinwar als »Märtyrer« bezeichnet hat

 03.07.2025