Berlin

Als Berlin vor 80 Jahren vor der Roten Armee kapitulierte

Gefangennahme deutscher Soldaten durch die Rote Armee Foto: picture-alliance / akg-images

Wer in diesem Frühling mit offenen Augen durch Berlin geht, kann die Einschusslöcher und Absplitterungen immer noch erkennen: am vernarbten Gemeindehaus der Sophienkirche in der Großen Hamburger Straße in der Mitte der Hauptstadt etwa. Oder am kopflosen Denkmal, das vor dem Berliner Martin-Gropius-Bau steht - direkt neben dem Gelände an der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße, auf dem sich einst die Gestapo-Zentrale befand.

Es gibt Führungen, die nur den Spuren der Straßenkämpfe durch Berlin folgen und einen ganzen Blog, der sich ausschließlich diesem Thema widmet. Vor 80 Jahren, am 2. Mai 1945, endete nach zwei Wochen der Kampf um Berlin: Die Reichshauptstadt Berlin und mit ihr Wehrmacht und Volkssturm kapitulierten vor der Roten Armee, das Kriegsende war eingeläutet. Die Schlacht um Berlin forderte Schätzungen zufolge auf beiden Seiten über 170.000 gefallene und 500.000 verwundete Soldaten sowie den Tod mehrerer zehntausend Zivilisten.

Rund zwei Millionen verbliebene Menschen

Mit einem Zangenangriff hatte die Rote Armee am 16. April das Ende des NS-Regimes eingeleitet. Rund zwei Millionen Einwohner waren im zerstörten Berlin - von ursprünglich über vier Millionen Menschen - verblieben und von täglichen Luft- und Artillerieangriffen zermürbt. Sie hegten einzig den Wunsch, das auf sie hereingebrochene Inferno unversehrt zu überstehen. Hitler forderte indessen, weiterzukämpfen »bis zum letzten Mann«; eine Kapitulation kam nicht infrage.

»Mein Gott, was soll nur aus uns werden«, schrieb Ilse Schier-Weimann, damals 21 Jahre alt und Mutter einer kleinen Tochter, als Zeitzeugin für das Deutsche Historische Museum über die letzten Kriegstage und die Straßenkämpfe: »Da - mit einem Male, es war so gegen Morgen, erzitterte das ganze Haus von den nahen Einschlägen, gegenüber sahen wir im Garten Bäume fallen. Da nahm ich aber meine Ingrid und rannte runter in den Keller«, so Schier-Weimann.

Weiter heißt es: »Laute Rufe hörte man, ich guckte einmal raus, zu meinem Schrecken mußte ich feststellen, daß es schon nicht mehr deutsche Laute waren. … Mein Gott, hatte ich eine Angst, durch die Propaganda war man so furchtbar eingeschüchtert.«

»Ruhiger als man sich dachte«

Der damals 48-jährige Kurt Kämpf schrieb in sein Tagebuch: »30.4. Montag. Vormittag 1/2 9 Uhr zogen die ersten Russen ein. Es ging alles ruhiger als man sich dachte. Uhren wollten sie haben, den Frauen taten sie nichts, im Gegenteil: sie gaben ab.« 10 Kilo Brot habe er etwa bekommen, so Kämpf.

Nicht alle waren so friedlich wie diese Sieger; allein in Berlin sollen zu Kriegsende 100.000 Frauen vergewaltigt worden sein, so die Einschätzung von Historikern. Seit 2008 wird Vergewaltigung von den Vereinten Nationen offiziell als Kriegsverbrechen eingestuft.

»Die Russen kommen«, hieß es allseits - und plötzlich waren sie da: Als Zeichen ihres Sieges hissten Soldaten der Roten Armee am 30. April 1945 die sowjetische Flagge auf dem Dach des Reichstags; er war in den letzten Tagen der Schlacht um Berlin besonders heftig umkämpft gewesen. Wenige hundert Meter entfernt hatte sich Hitler Stunden zuvor in seinem Bunker das Leben genommen.

Bewegende kyrillische Inschriften

In den Folgetagen strömten sowjetische Soldaten zum Reichstagsgebäude, das in ihren Augen ein Symbol des Sieges über Hitler war. Sie schrieben ihre Namen und Heimatstädte mit farbiger Kreide oder Holzkohle auf die Wände: »Sie schrieben sich die Freude, überlebt zu haben, oder den Triumph, siegreich in Berlin zu sein, von der Seele, beschimpften Hitler und hinterließen - nicht anders als Menschen es seit Jahrtausenden tun - ein Zeichen der Selbstvergewisserung, ihres In-der-Welt-Seins«, so Andreas Kernbach, der Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestags, in einer Broschüre des Bundestags. Im Zweiten Weltkrieg wurden zehn Millionen Soldaten der Roten Armee getötet oder sie starben in Kriegsgefangenschaft - die Sowjetunion hatte damit von allen teilnehmen Armeen die höchsten Verluste im von Deutschland angezettelten Krieg zu beklagen.

Die Inschriften waren lange zugemauert und vergessen - bis sie nach dem Mauerfall beim Umbau des Bundestags durch den britischen Architekten Norman Foster in den 1995er Jahren wiederentdeckt wurden.

Bis heute kann man sie besichtigen: Meist steht dort auf Kyrillisch »Hier war…«, und dann folgen Namen und Datum. Manche haben auch ihrer Abscheu gegen Nazi-Deutschland Ausdruck verliehen: »Hier war und hat ausgespuckt - Gunin.« Anrührend ist eine Herz-Zeichnung, die mit einem Amorpfeil verziert ist und die Inschrift »Anatoli und Galina« trägt. Und die Vielfalt der Völker, die in der Sowjetunion und damit in der Roten Armee vertreten waren, wird klar: »Schewtschenko« schreibt, er stamme »aus der Ukraine«, anderen benennen ihre Heimat im Kaukasus.

Besucher entdecken die Namen von Verwandten

Gelegentlich entdeckten Besucher auch Jahre später Inschriften von Verwandten - so etwa der Student Anar Nadzhafov aus Aserbaidschan. Als er im Deutschen Bundestag ein Praktikum bei einem Abgeordneten absolvierte, fand er das handschriftliche Zeugnis seines Großvaters.

Mit dem offiziellen Ende des Krieges am 8. Mai 1945 beruhigte sich die Zeit »langsam ein wenig«, schrieb der Berliner Jörg Sonnabend auf der Website »Lebendiges Museum online«, damals ein Junge von etwa elf Jahren. »Ich glaube, noch im Mai 1945 gab es die ersten Lebensmittelkarten, und Anfang Juni fuhr vom Straßenbahnhof in der Pichelsdorfer Str. wieder die erste Straßenbahn. Für uns Kinder war besonders schmerzlich, dass wir ab dem 1. Juni 1945 wieder zur Schule gehen mussten.«

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