Wien

Alle FPÖ-Minister verlassen Regierung

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz Foto: dpa

Die Video-Affäre um die bisherige Regierungspartei FPÖ hat Österreich wenige Tage vor der wichtigen Europawahl in eine schwere Staatskrise getrieben. Auch der Sturz von Kanzler Sebastian Kurz scheint möglich.

Am Montagabend kündigte die FPÖ – die immer wieder mit antisemitischen und rassistischen Ausfällen von sich reden machte – an, dass alle ihre Minister die Regierung verlassen werden. Die rechte Partei reagierte damit auf die vorherige Ankündigung des Kanzlers, den Bundespräsidenten um die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu bitten.

MISSTRAUENSANTRAG SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ging fast zeitgleich noch einen Schritt weiter: Sie fordert den Austausch der gesamten Regierung, stattdessen sollte bis zur geplanten Neuwahl im September eine Übergangsregierung aus Experten eingesetzt werden. Kanzler Kurz muss zudem mit einem Misstrauensantrag im Parlament rechnen. Die FPÖ schloss nicht aus, diesen zu unterstützen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Peter Pilz von der oppositionellen Liste »Jetzt« kündigte am Montag an, im Parlament einen solchen Antrag gegen Kurz zu stellen. Pilz hofft dabei auch auf die Unterstützung der aufgebrachten FPÖ. »Der Hausverstand sagt einem, dass es relativ schwer ist, von jemandem das Vertrauen zu verlangen, dem man gerade das Misstrauen ausgesprochen hat«, sagte Kickl zu diesem Thema der österreichischen Nachrichtenagentur APA.

Die FPÖ äußerte sich regelmäßig dezidiert antisemitisch und rassistisch.

Rendi-Wagner appellierte derweil an die Parteien, die eigenen Interessen hinten anzustellen. Auch durch diese Äußerungen gewann das »Jetzt«-Vorhaben am Abend erheblich an Bedeutung – der Stuhl des Kanzlers wackelt erheblich. Noch ist unklar, wann eine Sondersitzung des Parlaments stattfinden könnte.

Sollte ein Misstrauensantrag im österreichischen Parlament eine Mehrheit finden, müsste der Bundespräsident jemanden mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. »Dann ist der Bundeskanzler Geschichte – und das ist auch gut so«, sagte der Liste-»Jetzt«-Gründer Pilz im Sender »oe24«. Der Kanzler sei der Hauptverantwortliche für die Regierungskrise.

AUFKLÄRUNG Die schlagartige Verschärfung der Situation hatte Kurz am Montagabend mit seinem eigenen Statement losgetreten. Der 32-Jährige hatte sich erneut mit Innenminister Kickl getroffen und entschieden, dass der FPÖ-Politiker nicht mehr im Amt bleiben kann. Der Kanzler erwartet eine »lückenlose Aufklärung« zu jenem Skandalvideo von Ibiza aus dem Jahr 2017, dass die gesamte Krise am Freitagabend ausgelöst hatte. Kickl war damals selbst Generalsekretär der FPÖ und damit auch mit den finanziellen Angelegenheiten der Partei betraut.

Aus Sicht von Kurz müsste Kickl nun gegen sich selbst ermitteln – und das geht für den Kanzler nicht mit einer Aufklärung ohne »den Anschein einer Einflussnahme« zusammen. Kurz sagte am Montag, dass bei einem Rückzug aller FPÖ-Minister Experten und Spitzenbeamte in die Regierung aufrücken würden. Es gehe um Stabilität in einer für das Land und für Europa entscheidenden Phase.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Regierungskrise wurde am Freitag durch das von »Spiegel« und »Süddeutscher Zeitung« veröffentlichte Video ausgelöst, das im Juli 2017 heimlich auf Ibiza aufgezeichnet wurde. Darin werden möglicherweise illegale Parteispenden an die FPÖ thematisiert. Der damalige Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache stellt darin einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte öffentliche Aufträge in Aussicht, sollte sie der FPÖ zum Erfolg bei den Nationalratswahlen 2017 verhelfen. Strache trat am Samstag aufgrund der Veröffentlichung des Videos zurück, seitdem steckt die österreichische Politik im Chaos.

Die FPÖ bekäme nach neuesten Umfragen 18 Prozent der Stimmen, zuletzt lag sie bei 23 Prozent.

SCHADEN Norbert Hofer, Straches designierter Nachfolger als FPÖ-Chef, hatte am Montagmorgen noch betont, dass er in seiner wichtigen Rolle staatspolitische Verantwortung wahrnehmen wolle. »Das ist meine Aufgabe, nicht nur für die weitere Zukunft der Freiheitlichen Partei, sondern auch, wenn es darum geht, alles zu tun, damit hier dem Staatsgefüge kein Schaden (...) zugefügt wird«, sagte Hofer. Der 48-Jährige war bis zuletzt als Verkehrsminister selbst Teil der Regierung, 2016 wollte er Bundespräsident werden.

Laut einer ersten Umfrage nach der Veröffentlichung des Skandalvideos verlor Hofers Partei bereits an Zustimmung in der Bevölkerung. Die FPÖ bekäme nach der Erhebung von »Research Affairs« für die Tageszeitung »Österreich« 18 Prozent der Stimmen, sollte am Sonntag gewählt werden. Zuletzt lag die FPÖ bei 23 Prozent, bei der Nationalratswahl 2017 erhielten die Freiheitlichen 26 Prozent.


Auch international schlägt die politische Krise in Österreich hohe Wellen. »Die Bundesregierung hat die Entscheidung des österreichischen Bundeskanzlers Kurz, als Konsequenz aus den jüngsten Ereignissen Neuwahlen anzustreben, zur Kenntnis genommen; und die Entscheidung von Bundeskanzler Kurz ist nachvollziehbar«, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin.

DEUTSCHLAND SPD-Chefin Andreas Nahles betonte die Verantwortung des Kanzlers an der Staatskrise. »Ich möchte ganz klar sagen, dass er in erster Linie dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt einen Vizekanzler Strache gegeben hat, dass überhaupt solche Leute an die Macht kommen konnten«, sagte Nahles in Potsdam. Außenminister Heiko Maas (SPD) hofft derweil, dass sich die Krise in Österreich negativ auf das Wahlergebnis der AfD bei der Europawahl auswirkt.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban kommentierte die Krise eher sarkastisch. »Unsere österreichischen Freunde konnten nicht kommen, denn bei ihnen wurde die Jagdsaison vorzeitig eröffnet«, sagte der rechts-konservative Politiker in der südwestungarischen Stadt Zalaegerszeg. Eigentlich hatte sich der designierte FPÖ-Chef Hofer für einen Besuch angekündigt.

Die EU-Kommission betonte derweil: »Wir haben volles Vertrauen in die Menschen in Österreich und in die demokratischen Institutionen, dies geradezurücken.« Die Kommission habe die Ereignisse mit Fassungslosigkeit verfolgt, sagte ein Sprecher am Montag.

Terror

Scholz sieht Ansatzpunkt für Terrorlistung von Irans Revolutionsgarden 

Israel fordert von der EU bereits seit langem, die iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen. Kanzler Scholz macht dem Land nun Hoffnung

 17.04.2024

Meinung

Zeitenwende

Der 7. Oktober war kein Terroranschlag. Er war der Beginn eines neuen globalen antisemitischen Krieges, in dem alle Juden angegriffen werden

von Esther Schapira  17.04.2024

Duisburg

Anklage wegen Anschlagsplänen auf Pro-Israel-Demo erhoben

Der Mann habe geplant, mit einem Lkw in die Teilnehmermenge zu fahren

 17.04.2024

Thüringen

Ausstellung zu Luxemburger Abkommen von 1952

Die Dokumentation zeigt »die Geschichte materieller Ansprüche nach der Schoa«

 17.04.2024

Frederik Schindler

Zeit für eine neue deutsche Iran-Politik

Deutschland sollte das Mullah-Regime nicht länger hofieren, sondern unter Druck setzen

von Frederik Schindler  17.04.2024

Oldenburg

Stadtrat erklärt Solidarität mit Jüdischer Gemeinde

Das Gremium will »der zunehmenden Intoleranz und Hass den Nährboden entziehen«

 17.04.2024

Porträt

Hoffnungen einer Kurdin

Die Menschenrechtsaktivistin Soma Assad engagiert sich gegen Islamismus und plädiert für ein stärkeres Bündnis zwischen ihrem Volk und den Juden. Eine Begegnung

von Alicia Rust  16.04.2024

Teheran

Iranischer Journalist nach Kritik an Großangriff im Visier der Justiz

Abbas Abdi muss sich wegen absurd anmutender Vorwürfe vor Gericht verantworten

 16.04.2024

USA

Alarmierender Anstieg antisemitischer Vorfälle

Der höchste Stand seit dem Beginn der Erfassung entsprechender Daten wird verzeichnet

von Imanuel Marcus  16.04.2024