Rückblende

1958: »Zu wenige Juden vergast«

Bundespräsident Theodor Heuss, ein alter Freund des langjährigen Herausgebers der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden, Karl Marx, schrieb in seinem Grußwort zu Rosch Haschana im Herbst 1957, er meine »zu spüren, und mancherlei Zeugnis geht durch meine Hand, dass mit der Ausgestaltung und rascheren Sachbehandlung der sogenannten ›Wiedergutmachung‹ vielerlei Lebensangst, zumal der älteren jüdischen Menschen, gemildert wurde, dass ein zurückkehrendes Gefühl der Sicherheit manche so verständliche Bitterkeit gedämpft hat«.

Stammtisch-Antisemitismus Heuss hatte nicht ganz unrecht. Kurz vorher war das Bundesrückerstattungsgesetz verabschiedet worden, und das Tagebuch der Anne Frank bewegte sowohl in seiner Taschenbuchausgabe wie auch auf den deutschen Bühnen zahlreiche Gemüter. Doch kurz nach dem Rosch-Haschana-Gruß des Bundespräsidenten entfaltete sich ein Skandal um den »Stammtischantisemitismus« eines schwäbischen Studienrats, der manchen älteren jüdischen Menschen an der eben gewonnenen Sicherheit wieder zweifeln ließ.

In einem Offenburger Gasthaus wurde ein Streit um die aktuellen Schändungen jüdischer Friedhöfe und die historische Einordnung der Nazizeit immer lautstarker, bis der Studienrat Ludwig Zind vor Zeugen verkündete, es seien noch viel zu wenige Juden vergast worden. Laut einem später erschienenen Spiegel-Artikel brüstete Zind sich auch, persönlich bei antijüdischen Massakern dabei gewesen zu sein. Es dauerte ein gutes halbes Jahr, bis der Pädagoge unter der Beschuldigung, Gewaltverbrechen öffentlich gebilligt und das Ansehen Verstorbener beleidigt zu haben, vor Gericht gebracht wurde.

reuelos Wie die Presse berichtete, zeigte sich der Lehrer während des 1958 verhandelten Gerichtsprozesses keineswegs reumütig, sondern brach in antisemitische Hasstiraden aus. Das Urteil – ein Jahr Gefängnis ohne Bewährung – war dementsprechend deutlich. Die Staatsanwaltschaft beklagte vor allem eines: den Schaden für das eben erst wiedergewonnene Ansehen Deutschlands im Ausland. Zum eigentlichen Skandal kam es aber erst nach dem Urteil.

Vier Tage vor dem im Bundesgerichtshof angesetzten Revisionsverfahren im November 1958 gelang es Zind, nach Ägypten zu fliehen. Er war nicht der Erste, der im Nahen Osten den deutschen Justizbehörden entkam. Eine ähnliche Flucht war erst wenige Monate zuvor dem Buchenwalder KZ-Arzt Hans Eisele gelungen. Mit künstlerischer Freiheit ausgeschmückt kann man dieses unrühmliche Kapitel der deutschen Justizgeschichte in Wolfgang Staudtes Spielfilm Rosen für den Staatsanwalt (1959) nachverfolgen.

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 20.12.2025

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Tel Aviv/Berlin

Israel unterzeichnet weiteren Vertrag mit Deutschland über Raketenabwehr

Es handelt sich um das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte des jüdischen Staates

 19.12.2025

Sydney/Canberra

Nach Terroranschlag von Bondi Beach: Australien plant nationalen Trauertag

Die Regierung kündigt zudem umfassende Maßnahmen an. Dazu gehört eine landesweite Rückkaufaktion für Schusswaffen

 19.12.2025

New York

Antisemitische Äußerungen: Mitglied von Mamdanis Team tritt zurück

Die Tiraden von Catherine Almonte Da Costa sorgen für Entsetzen

 19.12.2025