Eva Umlauf

Wir müssen kämpfen

Psychotherapeutin und Holocaust-Überlebende Eva Umlauf Foto: picture alliance/dpa

Wer Nachrichten schaut, wer Zeitung liest und wer sich auch nur ein klein wenig für Politik interessiert, war nach dem Wahlausgang in Thüringen und Sachsen am vergangenen Sonntag nicht überrascht. Die AfD ist stärkste Kraft in Thüringen geworden, in Sachsen wurde sie fast Wahlsieger. Dies ist ein Dammbruch. In Deutschland ist die rechtsextreme Partei mittlerweile zur Volkspartei geworden.

Ich fühle unfassbare Wut, Traurigkeit und vor allem Unverständnis dafür, dass ausgerechnet Menschen, die bis vor 35 Jahren von der Stasi drangsaliert wurden, denen man die Kinder weggenommen hat, wenn man sich nicht regimetreu verhalten hat, die eingesperrt wurden, nun solch eine totalitäre und im Kern antidemokratische Partei wählen.

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Doch Ostdeutschland ist nicht die Ausnahme, wenn es um den Aufschwung von Rechtsextremen und Populisten geht. Es ist die Regel. Fast überall. In Österreich liegt die FPÖ in den Umfragen ganz vorn, und dies nicht zum ersten Mal. In meiner alten Heimat, der Slowakei, regiert ein faschistischer Ministerpräsident. Der Rechtsruck geht durch ganz Europa.

Nicht verarbeitet

Selbst die Vereinigten Staaten sind nicht davor gefeit. Und auch in Westdeutschland kommt die AfD auf Werte, die vor ein paar Jahren niemand für möglich gehalten hätte.

Wie konnte es so weit kommen? Wenn ich versuche, es aus psychoanalytischer Sicht zu betrachten, denke ich, dass es auch daran liegt, dass in Ostdeutschland die jüngere Geschichte nicht verarbeitet worden ist - nicht die Nazizeit und nicht die DDR.

Dazu gibt es vielleicht auch noch eine transgenerationelle Vererbung des Hasses und der Scham an die Jüngeren. Denn warum wählen ausgerechnet die Jüngeren überproportional rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien? Mangelnde Bildung kann es nicht sein.

Explosionsartiger Anstieg

Und doch frage ich mich manchmal: Was hat es gebracht, dass wir Überlebende in die Schulen gegangen sind? Was hat es gebracht, dass die NS-Zeit und der Holocaust ausführlich im Geschichtsunterricht behandelt wurden? Wir haben in Bayern ein Programm für Schüler der 9. Klasse, die auch die KZ-Gedenkstätte Dachau besuchen - und trotzdem steigen die antisemitischen Fallzahlen explosionsartig an.

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Das geht eigentlich nicht zusammen. Sicher sind es nicht unbedingt dieselben Schüler, vielleicht sollte man nicht verallgemeinern. Aber es fällt schwer, nicht zu resignieren.

Die AfD bedeutet mehr Antisemitismus und noch mehr »Deutschismus«. Ich fürchte, das, was in der Slowakei passiert ist, wird auch hier passieren. Hat eine rechtsextreme Partei erst einmal Regierungsverantwortung, wird die Demokratie, alles wofür wir und unsere Republik stehen, Stück für Stück abgebaut. Das ist beängstigend.

Faschisten und Rassisten

Man kann es nicht oft genug betonen: Die AfD ist keine demokratische Partei. Die AfD wird getragen von Faschisten und Rassisten. Hand aufs Herz: Ich fürchte mich davor, dass die AfD über kurz oder lang in einer Koalition an die Macht kommen wird. Wenn nicht jetzt, dann in ein paar Jahren. Die Brandmauer wird Risse bekommen.

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Insbesondere Thüringen wirkt unregierbar. Bodo Ramelow, ein sehr anständiger Ministerpräsident, wurde einfach so aus dem Amt gefegt, mit tätiger Mithilfe von Sahra Wagenknecht und ihrer antiwestlichen, inhaltlich stark an der AfD orientierten Partei BSW.

Der Gedanke, dass die AfD in die Regierungen kommen könnte, sollte uns allen Angst machen. Dann kommt das Alte wieder nach oben. Es war lange Zeit relativ ruhig. Der Judenhass war nie weg. Er war nur verstummt.

Toxische Mischung

Und während die AfD von einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Prozent träumt und ihre Politiker die Verbrechen der Wehrmacht verharmlosen, verbreitet die andere Seite des politischen Spektrums, das linksradikale und migrantische Milieu, mitten in Berlin Hass auf Israel.

Es ist eine toxische Mischung: Mir stockt der Atem, wenn ich das sehe. Ich habe das nicht für möglich gehalten. Mit gesundem Menschenverstand ist nicht zu erklären, warum wieder eine Minderheit attackiert wird.

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Höcke und Weidel erzählen nichts Neues. Es sind dieselben Schauermärchen wie einst. Und wieder scheint es zu funktionieren. Ich sitze nicht auf gepackten Koffern, weil ich gar nicht wüsste, wohin. Ich war immer Optimistin, aber wie soll man das heute noch sein? Nicht einmal Amerika ist eine Option.

Eigentlich aussichtslos

Der Antisemitismus kommt ja nicht nur von rechts. Er kommt aus allen Ecken, er quillt aus allen Ritzen. Heute hält sich niemand mehr zurück. Das Klima scheint günstig. Man kann offen auf Israel schimpfen, man kann die israelische Armee als Kindermörder beschimpfen, es bleibt fast immer ohne Konsequenzen. Man kann die eigentlichen Aggressoren des 7. Oktober totschweigen, und keinen interessiert es.

Es ist genau dieses Klima, vor dem wir Schoa-Überlebende uns immer gefürchtet haben. Es ist die Angst, dass sich alles wiederholen könnte.

Hass ist ein zerstörerisches Gefühl. Wenn man Hass in sich trägt, ist da kein Platz mehr für positive Gefühle. Ich hätte allen Grund gehabt, »die Deutschen« zu hassen. Aber ich tue es nicht. Hass ist etwas für schwache Menschen. Das will ich nicht sein.

Angesichts von mehr als 30 Prozent der Stimmen in zwei Bundesländern will ich trotzdem nicht aufgeben. Auch wenn es eigentlich aussichtslos erscheint. Denn es gibt, wie Bodo Ramelow sagte, die anderen 70 Prozent. Um die müssen wir kämpfen.

Die Autorin ist Psychotherapeutin, Holocaust-Überlebende und lebt in München.

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