Meinung

Wir müssen das Jüdische in der Kritischen Theorie neu entdecken

Joel Ben-Joseph studiert Philosophie in Berlin. Foto: privat

Meinung

Wir müssen das Jüdische in der Kritischen Theorie neu entdecken

Das Judentum hatte einen spürbaren Einfluss auf das Denken von Philosophen wie Max Horkheimer, Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno. Dieses Erbe wird heute selten berücksichtigt

von Joel Ben-Joseph  25.09.2025 13:48 Uhr

Dass viele Gründungsmitglieder des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wie Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Erich Fromm, Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno jüdischer Herkunft waren, ist zwar allgemein bekannt, doch wird diese Tatsache oft marginalisiert. Sie gilt eher als biografischer Zufall und nicht als prägende Einflussgröße ihres Denkens.

Jedoch zeigt die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg in ihrer Horkheimer-Studie, wie tief das jüdische Bilderverbot in die Kritische Theorie eingeschrieben ist. Nicht nur als theologisches Prinzip, sondern als Modus der Erkenntnis. Es ist eine Negation der Eindeutigkeiten, der Idole und falschen Bilder. Dies zielt darauf ab, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt zu wahren und sie nicht ideologisch verschmelzen zu lassen. Denn Wahrheit entzieht sich der Festschreibung und bleibt in der Unschärfe wie eine Amöbe auf der Netzhaut. Immer wenn man versucht, sie zu fokussieren, gleitet sie wieder in den Augenwinkel.

Das Jüdische bleibt in der gegenwärtigen Kritischen Theorie doch oft eine Leerstelle oder verkommt gar zum Feindbild.

Gerade dieser Mut zur Unschärfe fehlt mir, wenn ich heutige Texte lese, die sich auf Kritische Theorie berufen. Vertreterinnen und Vertretern der Critical Race Theory, die sich in ihrer Nachfolge sehen, folgen einem anderen Impuls. Sie setzen auf Affirmation. Lucius Outlaw etwa fordert eine positive Theorie von »race«, die marginalisierte Identität als Quelle von Stolz und Widerstand affirmiert. Sichtbarkeit und Repräsentation wurden so zu neuer politischer Praxis. Aus dem Bilderverbot wurde eine Sichtbarkeitspflicht und aus der Dekonstruktion falscher Bilder die Konstruktion eigener Bilder.

Das Jüdische bleibt in dieser Praxis doch oft eine Leerstelle oder verkommt gar zum Feindbild. Dennoch ist hier eine Rückbesinnung auf das Jüdische in der Kritischen Theorie nicht identitätspolitisch gemeint, sondern als Angebot der Versöhnung. Ich fordere nicht, jüdische Theorie über andere zu stellen, sondern ihr Potenzial und sogar ihre Notwendigkeit für radikale Kritik wieder anzuerkennen und neu zu beleben.

Der Autor studiert Philosophie in Berlin. Dieser Text ist zuerst bei EDA erschienen, dem Magazin der JSUD. Mehr Informationen finden Sie auf der Website oder dem Instagram-Kanal von EDA.

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025