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Waffenstillstand in Gaza – die schlechtere Entscheidung

Daniel Neumann Foto: Gregor Matthias Zielke

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Waffenstillstand in Gaza – die schlechtere Entscheidung

26 Staaten kritisieren Israel und fordern das Ende des Krieges. Eine Replik

von Daniel Neumann  22.07.2025 09:37 Uhr

Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 und dem Verteidigungskrieg Israels gegen die Hamas in Gaza türmen sich die schlechten Entscheidungen der israelischen Regierung oder genauer: des Kriegskabinetts. Was daran liegt, dass nahezu jede Entscheidung, die getroffen werden muss, ein Dilemma bedeutet. Eine teuflische Zwickmühle. Und eine Entscheidung zwischen schlecht und schlechter. Was nicht heißt, dass es falsche Entscheidungen waren, die getroffen wurden. Ganz im Gegenteil.

Die Entscheidung, gegen die Hamas in einen Krieg zu ziehen, war richtig, konsequent und nahezu alternativlos. Aber sie war auch schlecht, da von Anfang an klar war, dass Israel damit dem Schlachtplan und der Strategie der Hamas folgt und in einem jahrelang vorbereiteten, befestigten und eng besiedelten Gebiet operieren muss, das nicht nur in weiten Teilen untertunnelt ist, sondern in dem zivile Einrichtungen für die terroristische Kriegsführung umfunktioniert wurden. Samt der palästinensischen Zivilbevölkerung, in deren Mitte die Hamas operierte, hinter der sie sich versteckte und die sie für ihre Zwecke als Schutzschild missbrauchte.

Will heißen: Israel marschierte sehenden Auges in einen Krieg, in dem sein Gegner die eigene Zivilbevölkerung zu militärischer Manövriermasse gemacht hat und dem eine möglichst hohe Zahl ziviler Opfer sogar nützt, da man deren Tod propagandistisch ausschlachten kann, um Israel international zu schaden. Anders ausgedrückt: Die Hamas hat die Arithmetik des Schmerzes nicht nur verinnerlicht, sondern sie weiß sie gnadenlos für sich zu nutzen.

Weiteres Dilemma

War der Einmarsch in Gaza also eine schlechte Entscheidung? Ja. Weil sie Menschenleben fordert. Sowohl palästinensischer Zivilisten als auch – medial in Deutschland vollkommen unterbelichtet – Hunderter israelischer Soldaten. Aber es war dennoch eine richtige Entscheidung. Eine absolut richtige! Vielleicht die einzig richtige! Ähnliches gilt für die Entscheidung, einen neuen Verteilmechanismus für die humanitäre Hilfe in Gaza zu schaffen. Denn auch hier stand Israel vor einem Dilemma.

Der bisherige Verteilmechanismus wurde von der Hamas weidlich missbraucht, um humanitäre Hilfe zu kapern oder abzuzweigen, um die eigenen Kämpfer zu ernähren, sich selbst durch den Verkauf zu überhöhten Preisen zu refinanzieren oder die Lebensmittel und Medikamente außerdem einzusetzen, um die eigene Bevölkerung zu erpressen und unter Druck zu setzen.

Gleichzeitig war absehbar, dass ein neu geschaffener Verteilmechanismus über die amerikanische GHF (Gaza Humanitarian Foundation), der die Hamas und ihre Kollaborateure aus dem Spiel nimmt, nicht problemlos umgesetzt werden könnte und für die gebeutelten Bewohnern von Gaza zumindest anfänglich weitere Erschwernisse bedeutete. Auch das war eine Zwickmühle. Eine Entscheidung zwischen schlecht und schlechter.

Nicht perfekt

Und doch: Die neue Verteilmethode humanitärer Hilfe ist nicht perfekt. Keineswegs! Es gab vor allem zu Beginn mitunter chaotische Szenen und immer wieder Tote im Umfeld der Verteilstellen. Und Amerika wie auch Israel müssen weiterhin alles tun, um die Verteilung zu verbessern und zivile Opfer zu verhindern. Allerdings muss eines klar sein: Während die USA und die IDF daran arbeiten, die palästinensische Zivilbevölkerung an der Hamas vorbei mit humanitärer Hilfe zu versorgen, unternimmt die Hamas alles, um Chaos zu stiften, die Verteilung über die GHF zu torpedieren und die frühere Verteilpraxis zu erzwingen.

So viele zivile Opfer wie möglich helfen dabei nur. Weshalb palästinensische Mitarbeiter der GHF ermordet werden, Todeszahlen aufgebläht werden und durch bewaffnete Terroristen Chaos im Umfeld der Verteilstellen gestiftet wird. Denn auch hier gilt: Jeder tote Palästinenser, über den in den Medien berichtet wird, nützt der Hamas und schadet Israel.

Nur nebenbei: Dass die Informationen über Tote im Umfeld der Ausgabestellen wie auch alle anderen Horrormeldungen wie gewohnt vom sogenannten Palästinensischen Gesundheitsministerium verbreitet werden, also von der Hamas, also von islamistischen Terroristen und ihren Handlangern, und diese Informationen dennoch völlig unkritisch übernommen und berichtet werden, ist eigentlich ein skandalöses Vorgehen internationaler Medien. Und ein völliges Versagen des gegenwärtigen Journalismus.

Lüge und Wahrheit

Lüge und Wahrheit werden damit zu einer Machtfrage. Und diese Frage ist von der Mehrheit offenbar längst entschieden worden. Das ändert aber nichts an der Bewertung der Entscheidung über den neuen Verteilmechanismus humanitärer Hilfe. Denn die Entscheidung ist schlecht. Aber sie ist richtig. Denn das bisherige Procedere nutzt vor allem der Hamas. Weshalb die Beibehaltung des früheren Systems noch schlechter wäre. Viel schlechter.

Nun steht eine weitere Entscheidung an. Wieder ist es ein Dilemma. Und zwar eines, in dem die internationale Gemeinschaft erheblichen Druck ausübt und Israel in die Enge treibt. Wie auch in den anderen Fällen. Gerade jedenfalls haben 26 Nationen auf Initiative Großbritanniens ein sofortiges Ende des Krieges in Gaza gefordert. Der erste, humanitäre Impuls dürfte bei den meisten Menschen Zustimmung sein.

Denn wie lange soll das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung, die von ihren islamistischen Herrschern in diesen Krieg hineingezogen wurde, noch andauern? Wie lange soll der Krieg noch weitergehen, bevor die Menschen in Gaza endlich zur Ruhe kommen? Es muss eine Entscheidung her. Aber die Entscheidung stürzt Israel erneut in ein Dilemma. In eine Wahl zwischen schlecht und schlechter. Und es ist wie so oft Israel und nicht die Hamas, von dem diese Entscheidung gefordert wird.

Einseitig gegen Israel

Zugegeben: Der guten Ordnung halber wird auch die Freilassung der Geiseln verlangt. Aber im Grunde richtet sich der Forderungskatalog ziemlich einseitig gegen Israel: Waffenstillstand, Rückkehr zum früheren Verteilmechanismus humanitärer Hilfe, Einhaltung der Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht, Ende der Umsiedlungsüberlegungen in eine »humanitären Stadt« im Süden Gazas und so weiter und so fort.

Warum die Hamas nicht zur Kapitulation aufgerufen wird? Warum man ihre Entwaffnung nicht fordert? Warum Katar nicht unter Druck gesetzt wird, um die Terroristen endlich fallen zu lassen und sein doppeltes Spiel zu beenden? Warum Ägypten nicht endlich in die Pflicht genommen wird, die Grenze zu öffnen, um humanitäre Hilfe abseits des Kriegsgebietes zu erlauben? Und warum man nicht versteht, dass dieser Krieg nicht mit einem weiteren Waffenstillstand enden kann, bleibt das Geheimnis der 26 Unterzeichner-Staaten und ihrer Außenminister.

Für Israel jedenfalls steht wieder einmal eine Entscheidung an. Eine Entscheidung zwischen schlecht und schlechter. Und wie in den anderen Fällen, dürfte der erste, emotionale Impuls auch hier der falsche sein. Denn dieser Krieg darf nicht enden, wie alle anderen zuvor. Er darf nicht mit einem Kompromiss enden. Nicht mit einer Verhandlungslösung. Nicht mit einem weiteren Waffenstillstand. Jedenfalls nicht, wenn dies bedeutet, dass die Hamas weiterhin auch nur einen Hauch von Kontrolle über Gaza und seine Bevölkerung ausübt und damit die Chance einer Regeneration besteht. Nein.

Die Hamas muss endgültig zerstört werden. Ihre Strukturen müssen zerschlagen werden. Und ihr Zangengriff muss aufgebrochen werden. Ein für alle Mal. Wenn Israel etwas aus der Geschichte gelernt hat, wenn es etwas aus dem 7. Oktober gelernt hat, dann gibt es nur eine Entscheidung. Eine schlechte Entscheidung. Aber eine richtige Entscheidung!

Der Autor ist Jurist und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

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