Axel Drecoll

Verpasste Chance in Oranienburg

Axel Drecoll Foto: dpa

Axel Drecoll

Verpasste Chance in Oranienburg

Die Namensgebung vertieft Gräben, lässt die Bedeutung des historischen Tatortes verblassen und verdeckt historische Bezüge

von Axel Drecoll  25.06.2020 10:39 Uhr

Städte definieren sich auch und vor allem durch ihre Geschichte. Ihre Identität hängt von der Historie ab oder davon, was als historisch relevant bezeichnet wird. Beispielhaft für diese identitätsstiftende Funktion sind Straßennamen. Häufig bezeichnen sie historische Persönlichkeiten, an die erinnert und derer ehrend gedacht werden soll.

Sie lassen sich als erinnerungskulturelle Visitenkarten einer Gesellschaft bezeichnen. Straßennamen verweisen darauf, was eine Stadt ist oder was sie zu sein glaubt. Und: sie sagen viel darüber aus, was eine Stadt zukünftig sein will.

AREAL Man muss diese symbolische Funktion von Straßennamen begreifen, um zu verstehen, warum in Oranienburg die Gedenkstätte, das Internationale Sachsenhausen-Komitee und viele Familien der Opfer mit Nachdruck Namen gefordert haben, die sich auf Häftlinge des KZs Sachsenhausen beziehen. Sie wurden tief enttäuscht.

Auf dem Areal des ehemaligen KZ-Außenkommandos »Zeppelin«, wo Hunderte Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, entsteht ein Neubaugebiet. Acht Straßen gilt es zu benennen. Für die Stadt erwuchs daraus eine Chance: gemeinsam mit den Überlebenden und deren Familien ehrend der Opfer zu gedenken und auf dieser Grundlage ein kritisches Geschichtsbewusstsein zu befördern.

Die symbolische Gleichsetzung von NS-Verbrechen mit anderen Unrechtskontexten und unterschiedlichen Leiderfahrungen zog harsche Kritik nach sich.

Doch diese Chance ist verpasst. Zwar fiel die Wahl auf historische Persönlichkeiten, aber nur zwei von acht Straßen werden nach Opfern der NS-Verbrechen benannt. Es handelt sich um Frauen aus ganz unterschiedlichen Epochen, darunter eine Inhaftierte des sowjetischen Speziallagers.

PETITION Die symbolische Gleichsetzung von NS-Verbrechen mit anderen Unrechtskontexten und unterschiedlichen Leiderfahrungen zog harsche Kritik nach sich. Auch eine Petition mit über 1000 Unterzeichnern aus aller Welt, die auf das Einvernehmen mit den Überlebenden des KZ Sachsenhausen zielte, konnte die umstrittene Benennung nicht mehr verhindern.

Tatsächlich führt diese Namensgebung in eine falsche Richtung. Sie vertieft Gräben, lässt die Bedeutung des historischen Tatortes verblassen und verdeckt historische Bezüge. So entsteht keine für Oranienburg zukunftsweisende Geschichtssymbolik.

Der Autor ist Historiker und Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

Nahost

Warum Deutschland seine Botschaft nach Jerusalem verlegen sollte

Ein Kommentar von JA-Redakteur Imanuel Marcus

von Imanuel Marcus  21.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Meinung

Weitermachen oder die jüdische Resilienz

Verfolgung, Exil und Gewalt konnten es nicht brechen: Die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes prägt seine Geschichte bis heute

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Meinung

Unsere Antwort ist Leben!

Chanukka ist das beharrliche Bestehen darauf, dass Mord und Terror nicht das letzte Wort haben. Ein Kommentar zum Terroranschlag von Sydney

von Jan Feldmann  18.12.2025