Meinung

Stille Zeitenwende

Foto: Verena Müller für TRUMPF

Meinung

Stille Zeitenwende

Unsere Gastautorin kritisiert die Relativierung von Antisemitismus und Israelfeindschaft und fordert eine klare Positionierung auch der Wirtschaft

von Nicola Leibinger-Kammüller  22.10.2023 11:24 Uhr

Der brutale Überfall auf Israel und die Bilder der Ermordung und Verschleppung auch von Frauen und Kindern haben bei vielen Menschen in Deutschland Entsetzen und Trauer ausgelöst.

Diese Trauer wird überlagert von einem nicht minder starken Gefühl: dem der Fassungslosigkeit oder Wut angesichts der offen zur Schau gestellten Solidarität mit den Verbrechen von Terroristen. Aber auch angesichts so mancher »Ja, aber«-Rhetorik aus der Mitte der Gesellschaft.

Wer jetzt überrascht ist, wie ein Umdefinieren von Schuld und Verantwortung stattfindet, hat in den vergangenen Jahren offensichtlich nicht genau genug hingesehen – oder sehen wollen, was Jüdinnen und Juden sahen.

Die Zeitenwende, die im Falle des russischen Angriffs auf die Ukraine über Nacht ausgerufen wurde, verlief hinsichtlich der Kritik an Israel schleichend. Den jüdischen Staat zu kritisieren, so erinnere ich mich an meine Jugend in den 1970er Jahren, hieß implizit immer auch: die westliche Wirtschaftsordnung und den »Imperialismus« zu attackieren, wofür es Beifall gab.

Wir alle, auch die Wirtschaft, sind darum aufgefordert, in der jetzigen Situation Haltung zu zeigen. Zumindest dann, wenn wir es ernst meinen mit der Freundschaft zu Israel und den in Deutschland lebenden Juden. In einer Zeit, in der Parteien und Kirchen an Bindekraft verloren haben, sind Unternehmen meinungsbildende gesellschaftliche Orte, gerade in den Regionen abseits der Städte. Sie müssen diese Verantwortung über den ökonomischen Erfolg hinaus einlösen.

Ebenso wichtig aber ist es, dass die Entscheidungsträger in Politik und Medien endlich klar benennen, was seit langem zur Realität in Deutschland gehört: dass es einen Antisemitismus und eine Israelfeindschaft gibt, die sich nicht nur in dumpfen Parolen pro-palästinensischer Straßenkundgebungen Bahn brechen, sondern in Relativierungen von Teilen der Meinungseliten.

Dass Juden hierzulande Angst haben, dass Schulen, Restaurants und Synagogen geschlossen bleiben oder streng bewacht werden müssen, dass man Haustüren wieder mit Davidsternen markiert: All das ist eine nicht hinzunehmende Entwicklung. Damit muss sich auch die Wirtschaft befassen.

Die Autorin ist Unternehmerin und Vorstandsvorsitzende des Industriekonzerns TRUMPF SE & Co. KG.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Meinung

Wir Jungen müssen die Gemeinden stärker mitgestalten

Jüdische Studierende sind vom wachsenden Antisemitismus besonders betroffen. Gleichzeitig sind junge Juden kaum in den Gemeindevertretungen repräsentiert. Das muss sich ändern

von Ron Dekel  30.11.2025

Meinung

Der Weg zum Frieden in Nahost führt über Riad

Donald Trump sieht in Saudi-Arabien zunehmend einen privilegierten Partner der USA. Die Israelis müssen gemäß dieser neuen Realität handeln, wenn sie ein Abkommen mit dem mächtigen Ölstaat schließen wollen

von Joshua Schultheis  29.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wenn ein Botschafter Schoa-Überlebende zu Lügnern erklärt

Tom Rose, neuer US-Botschafter in Warschau, hat in einer Rede die Komplizenschaft Tausender Polen während des Holocaust bestritten. Das ist fatal für das Ansehen der USA

von Menachem Z. Rosensaft  29.11.2025

Meinung

Die Flucht der arabischen Juden

Einst lebten viele Juden in der muslimischen Welt. Es ist wichtig, an ihre persönlichen Geschichten von Exil und Mut zu erinnern

von Tair Haim  27.11.2025

Meinung

Die polnische Krankheit

Der Streit um einen Tweet der israelischen Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt, dass Polen noch immer unfähig ist, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen

von Jan Grabowski  26.11.2025

Meinung

Ein Friedensplan, der keiner ist?

Die von den Amerikanern vorgelegten Punkte zur Beendigung des Ukraine-Kriegs sind kein fairer Vorschlag, sondern eine Belohnung für den russischen Aggressor

von Alexander Friedman  24.11.2025

Existenzrecht Israels

Objektive Strafbarkeitslücke

Nicht die Gerichte dafür schelten, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben nicht macht. Ein Kommentar

von Volker Beck  23.11.2025