Die Iden des März sind eine Metapher für bevorstehendes Unheil. Der Begriff wurde im antiken Rom geprägt: Diktator Julius Caesar wurde an einem 15. März von seinen Freunden und politischen Mitstreitern gemeuchelt.
Zwar dürfte Friedrich Merz trotz des krachenden Scheiterns im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler noch einmal mit dem Leben davonkommen. Aber politisch ist der CDU-Chef schwer angeschlagen. Ein zweites Durchfallen dürfte ihn das Amt kosten.
Einige im Berliner Politikbetrieb waren offensichtlich betriebsblind, hatten den Paukenschlag nicht kommen sehen. Oder ihn nicht sehen wollen. Dabei war die Ausgangslage klar: Vor allem der AfD-offene Schnellschuss von Merz, mit dem er Ende Januar versuchte, im alten Bundestag noch eine rechte Mehrheit für eine radikal andere Migrationspolitik zu aktivieren, hat bei SPD und Grünen tiefe Verletzungen und sogar Wut hinterlassen.
Hinzu kamen die nach der Bundestagswahl hastig vorgenommenen Änderungen des Grundgesetzes zur Lockerung der Schuldenbremse. Vor der Wahl hatte der Kanzlerkandidat der Union ganz anders geredet. Dieser Umfaller dürfte Merz auch in den eigenen Reihen Sympathien gekostet haben.
Populär war der 69-Jährige noch nie so richtig. Aber offenbar ist er in den letzten Monaten noch unpopulärer geworden. Gründe für einen Warnschuss aus dem Hinterhalt gab es jedenfalls genügend.
Die Koalitionsbildung war zwar überraschend geräuschlos verlaufen. Aber vielleicht war sie zu reibungslos, denn zentrale Streitpunkte wie die Migrationspolitik wurden einfach durch Formelkompromisse übertüncht oder von den Koalitionären unter den Teppich gekehrt.
Am Ende stimmte die SPD-Basis zwar mit unerwartet deutlicher Mehrheit von 84 Prozent für die Bildung einer Koalition mit der Union unter der Führung von Friedrich Merz. Doch die Verletzungen bei vielen Bundestagsabgeordneten – womöglich auch darüber, dass sie bei der Postenvergabe nicht zum Zug gekommen sind – waren deswegen nicht weg. Das Potenzial für eine Denkzettelwahl war groß, allem Zweckoptimismus zum Trotz.
Niemand kann sagen, wer Merz die Stimme verweigert hat. Die Kanzlerwahl ist schließlich geheim. Das ist gut so, denn das Vertrauen, das das Parlament einer Bundesregierung entgegenbringt, muss echt sein und darf nicht nur durch Druck der Partei- und Fraktionschefs zustande kommen.
Doch das Wahlgeheimnis macht das weitere Prozedere unvorhersehbar und damit in der aktuellen politischen Lage gefährlich. Denn auch im zweiten Wahlgang könnte es genug Abgeordnete geben, die den Einzug von Merz ins Kanzleramt mit allen Mitteln verhindern wollen.
Erinnerungen an den »Heide-Mörder«
So erging es Mitte März 2005 Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Sie scheiterte an der geplanten Wiederwahl im Landtag und kehrte verbittert dem politischen Betrieb den Rücken. Simonis fehlte damals rechnerisch nur eine Stimme – bei Merz waren es am Dienstagfrüh im Bundestag sogar sechs.
Der Fall Simonis war bislang die absolute Ausnahme in der Geschichte der Bundesrepublik. Er sollte es bleiben. Denn jetzt, wo die AfD auf Platz eins der Meinungsumfragen steht, ist nicht die Zeit für politische Ränkespiele, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik weiter untergraben.
Im jetzt anstehenden zweiten Wahlgang sollten sich alle Abgeordneten einen Ruck und Merz ihre Stimme geben. Denn sonst nähme die Demokratie Schaden, die AfD könnte sich die Hände reiben.
Zwar gäbe es durchaus Ersatz für Friedrich Merz. Wenn er als Person das Haupthindernis für eine Regierungsbildung ist, sollte er seinen Hut nehmen. Aber bislang ist er der Kandidat, auf den sich CDU, CSU und SPD als Bundeskanzler verständigt haben. Der SPD-Linke Ralf Stegner hat es am Dienstagvormittag auf den Punkt gebracht: »Wir haben keine Alternative. Sonst stürzt das Land ins Chaos«, sagte er nach der gescheiterten Kanzlerwahl im Fernsehen.
Stegner muss es wissen. Er war 2005 bei der Nichtwahl von Simonis im Kieler Landtag dabei und stand sogar im Verdacht, der »Heide-Mörder« gewesen zu sein, der Simonis um das Amt brachte. Damals gab es keine AfD. Es gab andere demokratische Mehrheiten.
Die Demokratie steht auf dem Spiel
20 Jahre später steht auf der Bundesebene mehr auf dem Spiel als die Zukunft eines Politikers. Die Demokratie steht auf dem Spiel. Die AfD reibt sich die Hände. Jedem Bundestagsabgeordneten sollte dies bewusst sein, wenn er in der Wahlkabine sein Kreuz macht.
Denn wer mit dem Feuer spielt, braucht sich nicht wundern, wenn das hohe Haus abbrennt. Es muss nicht immer Brandstiftung sein, manchmal reicht ein Funke. Das Reichstagsgebäude brannte schon einmal, im Februar 1933. Es war ein Brand, der von den Feinden der Demokratie weidlich ausgeschlachtet wurde. Mitte März 1933 bekam Hitler vom Reichstag per Ermächtigungsgesetz weitreichende Vollmachten.
Wer nicht will, dass es 92 Jahre später wieder lichterloh brennt in Deutschland, der sollte Friedrich Merz zum Bundeskanzler wählen. Auch, wenn es dem einen oder anderen weh tun mag.
thaidigsmann@juedische-allgemeine.de