Peter Bollag

Schweizer Verfassung: Kein Grund zum Feiern

Peter Bollag Foto: privat

Ungeheuerliches geschieht in diesen Wochen und Monaten in der Schweiz: In der Eidgenossenschaft, deren Bewohner überall auf der Welt als besonders fleißig gelten, denkt man tatsächlich über die Einführung eines weiteren Feiertags nach!

Zusätzlich zum sogenannten Bundesfeiertag am 1. August wäre dies künftig auch der 12. September. Das ist der Tag, an dem vor 175 Jahren die Schweizer Verfassung in Kraft trat und einen Schlussstrich unter den Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten setzte – der letzte Krieg auf Schweizer Boden. Die Verfassung gilt bis heute als Grundlage der modernen Schweiz.

Festakt Ob der Feiertag tatsächlich eingeführt wird, ist noch offen. Tatsache aber ist, dass in diesem Jahr am 12. September in Bern aus Anlass des historischen Ereignisses ein großer Festakt stattfindet. Bezeichnenderweise in einer Kirche!

Jüdische Schweizer sehen darin auch ein Symbol dafür, dass sie eigentlich keinen Grund haben, dieses Ereignis mitzufeiern. Denn ihre Vorfahren mussten sich, nachdem die Verfassung 1848 in Kraft getreten war, volle 18 Jahre gedulden, bevor zumindest die Männer ebenfalls die gesetzliche Gleichstellung gegenüber ihren christlichen Mit-Eidgenossen erhielten.

Aber es war nicht bloß diese zeitliche Verzögerung, die vor allem dem herrschenden Antisemitismus zuzuschreiben ist, sondern es waren Interventionen aus dem Ausland nötig, damit die Schweizer Juden endlich gleichgestellt wurden: Frankreich, die Niederlande und die Vereinigten Staaten wollten nach 1848 die Benachteiligung ihrer in der Schweiz lebenden Bürger nicht länger hinnehmen und übten massiv Druck auf die Regierung in Bern aus. Genauso wie 130 Jahre später bei den Konten von Schoa-Opfern auf Schweizer Banken gab das Land erst unter äußerem Druck nach.

Was nun den 12. September betrifft, könnte es sein, dass ihn jüdische Schweizer 2026 auch feierlich begehen. Dann ist an diesem Tag nämlich Rosch Haschana.

Der Autor ist Journalist in Basel.

Reaktionen

Massive Kritik an Urteil über Charlotte Knoblochs Ex-Leibwächter

Der Mann bewachte die Präsidentin der IKG München, obwohl er sich privat judenfeindlich und rassistisch äußerte. Für das Verwaltungsgericht nicht genug, um ihn aus dem Polizeidienst zu entlassen

 02.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Meinung

Die Erforschung von Antisemitismus braucht Haltung und Strukturen

Damit die universitäre Wissenschaft effektiv zur Bekämpfung von Judenhass beitragen kann, muss sie zum einen schonungslos selbstkritisch sein und zum anderen nachhaltiger finanziert werden

von Lennard Schmidt, Marc Seul, Salome Richter  02.07.2025

Kommentar

Alle haben Frieden verdient

Aber es braucht die richtigen Partner dazu

von Nicole Dreyfus  02.07.2025

Meinung

Kontrollverlust im Westjordanland

Immer wieder ziehen radikale Siedler marodierend durch palästinensische Ortschaften. Nun machen sie nicht einmal mehr vor Soldaten der eigenen Armee Halt

von Ralf Balke  01.07.2025

Meinung

»Ha’aretz«: Stimmungsmache gegen Israel

In den vergangenen Jahren hat die israelische Zeitung mehrfach Falschbehauptungen oder verzerrte Darstellungen in Umlauf gebracht hat - mit weitreichenden Folgen

von Jacques Abramowicz  30.06.2025

Meinung

Wir müssen auch im Krieg Widersprüche aushalten

Man kann die Angriffe auf Irans Atomprogramm richtig finden, ohne Israels Premier Netanjahu als Helden zu feiern oder das Leid der iranischen und palästinensischen Zivilbevölkerung zu übersehen

 27.06.2025

Meinung

Wenn Nächstenliebe zynisch wird

In einer Erklärung überzieht der Weltkirchenrat Israel mit Vorwürfen, erwähnt die Hamas aber mit keinem Wort. Eine Einseitigkeit, die zum Himmel schreit

von Tobias Kühn  26.06.2025

Meinung

Der Richtige zur richtigen Zeit

Die Geschichtsschreibung wird in 20 Jahren womöglich feststellen, dass Israels Premier Netanjahu das jüdische Volk vor einer erneuten Vernichtung gerade noch rechtzeitig bewahrt hat

von Helmut Kuhn  25.06.2025