Meinung

Papst Franziskus, Jesus und ein gefährliches Manöver

Daniel Neumann Foto: Gregor Matthias Zielke

Meinung

Papst Franziskus, Jesus und ein gefährliches Manöver

Die Kirche rüttelt an ihrem eigenen fragilen Fundament, wenn dem Juden Jesus seine Herkunft, seine Abstammung und seine Identität abgesprochen werden

von Daniel Neumann  11.12.2024 17:40 Uhr

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte heißt es. Vor allem kann es politische Botschaften, Fehlinformationen und im schlimmsten Fall glatte Lügen transportieren. Mit geringem Aufwand und großem Effekt.

Wer wüsste das besser als das Heer von Social-Media-Aktivisten, die ihren Juden- und Israelhass in den letzten Monaten mit besonderer Verve durch den digitalen Äther jagen. Facebook, Instagram, TikTok und X sind so zu millionenfachen Multiplikatoren antisemitischer Botschaften mutiert. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Doch es sind nicht nur die neuen Aktivisten aller Richtungen, die begriffen haben, welche Kraft Bilder entfalten können. Nein. Auch einer der größten klassischen Influencer weiß um den Wert von Bildern und ihrer unglaublichen Kraft: der Papst. Also das Oberhaupt der katholischen Kirche. Deshalb ist es umso schmerzhafter, welche Botschaft der Vatikan erst kürzlich aussendete, als ein Bild von Papst Franziskus um die Welt ging, auf dem er im Rollstuhl sitzend vor einer Krippe betete, in der das kleine Jesuskind auf einem Palästinensertuch liegt.

Lesen Sie auch

Moment: der kleine Jesus auf einem Palästinensertuch? Will heißen: geboren in Palästina? Oder noch schlimmer: Jesus umgeben von Palästinensern. Oder am schlimmsten: Jesus als Palästinenser? Eins falscher als das andere. Man könnte auch sagen: Fake News. Denn denjenigen, deren Überzeugungen sich aus den Sozialen Medien oder von Influencern aller Art speisen sei gesagt: weder gab es zu Jesus Lebzeiten ein Palästina, noch gab es Palästinenser und erst recht war Jesus keiner derselben. Wie auch, wenn es sie nicht gab?!

Selbst dem säkularen religionsfernen Durchschnittsbürger sollte inzwischen eigentlich bekannt sein, dass Jesus Jude war. Ebenso wie seine Eltern - zumindest ein Elternteil - und alle seine späteren Jünger. Nicht umsonst ist der Begriff »INRI«, der sich auf zahllosen Kreuzen in aller Welt findet, ein Branding sondergleichen.
Und der bedeutet: »Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum«. Übersetzt: Jesus von Nazareth, König der Juden.

Und auch, wenn sich das noch nicht überall herumgesprochen hat, einer weiß es ganz bestimmt: Der Papst. Und natürlich weiß es mit ihm die Kirche. Ebenso wie die palästinensischen Erbauer der eigenwilligen Krippe, die aus Bethlehem stammen. Doch so erzählt man heute eben Märchen aus 1001 Nacht. Pure Fantasie, gegossen in beeindruckende Bilder.

Das verstörende dabei ist nicht, dass die Palästinenser versuchen, Jesus als einen der ihren zu verkaufen. Das hat der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, ein Märchenerzähler von Gottes Gnaden, schon früher getan. Das verstörende ist, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche dieses Bild vervollständigt, ihm Authentizität verleiht und damit eine unmissverständliche Botschaft sendet. Leider begibt sich der Papst damit in einen Morast, durch den die Kirche Jahrhunderte gewatet ist, und von dem wir eigentlich dachten, dass seine Vorgänger ihn erfolgreich überwunden hätten.

Und eines hat sich im Lauf der Geschichte gezeigt: immer dann, wenn dem Juden Jesus sein Jüdischsein abgesprochen wurde, lugte hinter den unschuldigen Mienen der Judenhass hervor.

Die Kirche tat dies im Mittelalter und machte Jesus zum Christen. Die Nazis taten dies im letzten Jahrhundert und machten Jesus zum Arier. Und Mahmoud Abbas samt Konsorten tun dies und machen Jesus zu einem Palästinenser. Dass Papst Franziskus - um eine politische Botschaft zu senden - nun den Anschein erweckt, diese unrühmliche Reihe fortzusetzen, sollte nicht nur Juden einen Schauder über den Rücken jagen.

Denn wenn dem Juden Jesus seine Herkunft, seine Abstammung und seine Identität abgesprochen werden, dann rüttelt die Kirche nicht nur an ihrem eigenen fragilen Fundament, sondern sie greift außerdem Geschichte und Wahrheit als solche an.

Und das alles sollte ein durchschaubares politisches Manöver keinesfalls Wert sein.

Der Autor ist Jurist und Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

Meinung

Der erfundene »Völkermord«

Wer für einen Genozid verantwortlich ist, versorgt dessen angebliche Opfer nicht, warnt sie nicht vor Angriffen und richtet weder Fluchtrouten noch humanitäre Zonen ein

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Meinung

Vereinte Nationen: Alter Wein in neuen Schläuchen

Kommende Woche soll in New York eine Resolution zum Nahostkonflikt verabschiedet werden. Sie ist hochproblematisch. Deutschland sollte dagegen stimmen

von Jacques Abramowicz  18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025