Meinung

Marine Le Pen: Zu Recht nicht mehr wählbar

Michael Thaidigsmann Foto: Privat

Das Urteil ist ein Paukenschlag. Ein Gericht in Frankreich hat Marine Le Pen, Chefin der von ihrem Vater Jean-Marie gegründeten und seit 2011 von ihr geführten rechtsradikalen Partei Rassemblement National (bis 2018 hieß sie Front National) der Veruntreuung von fast einer halben Million Euro an Steuergeldern während ihrer Zeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament für schuldig befunden.

Le Pen und andere Europaabgeordnete hatten zwölf Jahre lang, zwischen 2004 und 2016, fiktive Arbeitsverträge mit zwölf Personen abgeschlossen. Diese wurden vom Europäischen Parlament als parlamentarische Mitarbeiter bezahlt, arbeiteten aber in Wahrheit für die Partei. Der Schaden für den europäischen Steuerzahler belief sich insgesamt auf mehr als vier Millionen Euro; weitere Parlamentarier standen in Paris deswegen vor Gericht. Die Vorsitzende Richterin Bénédicte de Perthuis sag es aber als erwiesen an, dass Le Pen die Hauptverantwortung für die Einstellungen hatte und die Entscheidungen traf.

Marine Le Pen wurde nun zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Hälfte wird zur Bewährung ausgesetzt, doch zwei Jahre lang wird die Politikerin eine elektronische Fußfessel tragen müssen; ihr Bewegungsradius wird dann sehr reduziert sein. Sie bestreitet die Vorwürfe nach wie vor energisch und nun will in die Berufung gehen.

Lesen Sie auch

Noch bedeutsamer dürfte jedoch die Einschränkung von Le Pens politischer Bewegungsfreiheit sein. Das Gericht entzog ihr nämlich mit sofortiger Wirkung das passive Wahlrecht, für einen Zeitraum von fünf Jahren. Sollte das Urteil auch in der Berufung Bestand haben oder das Berufungsverfahren vor der Wahl 2027 nicht abgeschlossen sein, darf Marine Le Pen sich nicht um die Nachfolge von Emmanuel Macron bewerben.

Dass der rechte Rand in Frankreich sich empören und das Urteil als angeblich »politisch motiviert« abtun würde und dass Figuren wie der ehemalige Parteichef von Les Républicains, Eric Ciotti, von »Justizkabale« und einem »System der Machtergreifung« sprechen würden, das jeden zu weit rechts stehenden Kandidaten gnadenlos aus dem Weg räume, stand zu erwarten. Und auch, dass sich Le Pens politische Freunde in Europa und darüber hinaus abfällig äußern würden über den Richterspruch.

Geschmacklose Solidaritätsadresse

So sprach ausgerechnet der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin, ansonsten für die Verhöhung westlicher Demokratien zuständig, von einer »Verletzung demokratischer Normen«. Italiens Ultrarechter Maurizio Salvini nannte das Urteil eine »Kriegserklärung Brüssels«. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán durfte auch nicht fehlen. Er versicherte Le Pen seiner vollen Solidarität, indem er auf der Plattform X den Satz »Je suis Marine!« (»Ich bin Marine!«) postete. Es war eine reichlich geschmacklose Anspielung auf das Motto »Je suis Charlie«, das nach dem islamistischen Terroranschlag gegen die Redaktion des Satiremagazins »Charlie-Hébdo« 2015 weltweit Verwendung fand.

Doch es handelt sich keineswegs um eine politische Entscheidung des Gerichts, wie Freunde und Verbündete der Rechtspopulistin und leider auch einige deutsche Kommentatoren der Öffentlichkeit nun weismachen wollen. Die wütenden Reaktionen versuchen zu überspielen, dass diese zusätzliche Strafe für Amts- und Mandatsträger seit Jahren als obligatorisch im Strafrecht verankert ist.

Die Richter hatten angesichts der Schwere der Vergehen kaum eine andere Wahl. Frankreich macht nämlich seit einiger Zeit ernst mit dem Kampf gegen Korruption und Veruntreuung von Steuergeldern. Zuletzt traf es den Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, der mehrfach vorbestraft ist und seit neuestem eine Fußfessel tragen muss.

Dass eine Person wie Le Pen, die sich in der Vergangenheit auch nicht zu schade war, einen Millionenkredit bei einer Kreml-nahen tschechisch-russischen Bank aufzunehmen, nicht zur Präsidentenwahl zugelassen wird, ist deswegen kein Drama, sondern eher eine gute Nachricht. Dreimal schon trat sie an: 2012, 2017 und 2022, zweimal schaffte Le Pen es in die Stichwahl, aber ins höchste Staatsamt gewählt wurde sie von den Franzosen nie. Vielleicht lag es auch an ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit?

Frankreichs Justiz hat der Demokratie mit dem Urteil Respekt verschafft. Sie hat nicht die Kleinen gehängt und die Großen laufen lassen, sondern bewiesen, dass auch politische Würdenträger sich an Recht und Gesetz halten müssen und der schamlose Griff in die Staatskasse für persönliche Zwecke bestraft wird. Und Le Pen forderte einst lautstark, wegen Korruption und Amtsmissbrauch vorbestrafte Politiker von Wahlen auszuschließen - auf Lebenszeit, wohlgemerkt.

Und wie sagte Marine Le Pen es selbst einmal so schön: »Man stiehlt nicht das Geld der Franzosen. Das nennt man Respekt für die Demokratie.«

Das war im Jahr 2004. Sie hat es offenbar vergessen.

Der Autor ist EU-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen in Brüssel.

Meinung

Eurovision: Mobbing statt Musik

Eigentlich versteht jeder, dass Musiker nicht mit ihren Regierungen identisch sind. Wenn es um den jüdischen Staat geht, scheint diese Logik jedoch nicht zu gelten

von Sabine Brandes  07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Meinung

Zurück ins Mittelalter?

Die israelische Regierung will die Todesstrafe wieder einführen. Das ist geschichtsvergessen und verblendet

von Sophie Albers Ben Chamo  04.12.2025

Meinung

Wagenknechts Schiffbruch

Nur etwa zwei Jahre nach seiner Gründung steht das BSW vorm endgültigen Scheitern – eine gute Nachricht! Dennoch bleibt ein übler Nachgeschmack

von Ralf Balke  04.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Meinung

Wir Jungen müssen die Gemeinden stärker mitgestalten

Jüdische Studierende sind vom wachsenden Antisemitismus besonders betroffen. Gleichzeitig sind junge Juden kaum in den Gemeindevertretungen repräsentiert. Das muss sich ändern

von Ron Dekel  30.11.2025

Meinung

Der Weg zum Frieden in Nahost führt über Riad

Donald Trump sieht in Saudi-Arabien zunehmend einen privilegierten Partner der USA. Die Israelis müssen gemäß dieser neuen Realität handeln, wenn sie ein Abkommen mit dem mächtigen Ölstaat schließen wollen

von Joshua Schultheis  01.12.2025 Aktualisiert