Meinung

Linke Solidarität und das Bedürfnis, im richtigen Club zu spielen

Serdar Somuncu bei einem Auftritt im Februar Foto: IMAGO/Funke Foto Services

Es war einmal ein Hirtenjunge namens David. Klein, unscheinbar, mit nichts als einer Steinschleuder und dem festen Glauben an die Gerechtigkeit in der Tasche. Auf der anderen Seite: Goliath. Ein Riese, ein Panzer aus Fleisch und Metall, bewaffnet bis an die Zähne. Der klassische Underdog-Mythos, wie gemacht für Instagram-Stories und moralische Posen. Doch was, wenn die Rollen heute längst vertauscht sind, und der vermeintliche David längst ein Goliath mit PR-Agentur ist – während der eigentliche David sich einer Horde Goliath-Fans in westlichen Plenumskellern gegenüber sieht?

Willkommen auf der Betroffenheitskirmes, wo Empörung immer Saison hat, Tickets nichts kosten und die Fahrgeschäfte ausschließlich in Richtung ›»moralische Überlegenheit« kreisen. Und wer glaubt, der Betrieb schließt mal irgendwann – nein. Die Betroffenheitskirmes hat immer auf.

Solidarität auf Zuruf: Wie ›»Kritik an Israel« zur Ersatzreligion wurde

Die deutsche Linke (nicht alle, aber zu viele) hat ein bemerkenswertes Talent zur selektiven Solidarität. Da wird zur Ukraineflagge im Twitterhandle flott ein Palästinensertuch umgehängt, weil das angeblich alles »emanzipatorische Kämpfe« sind. Doch während man der Ukraine zu Recht ihre Souveränität zubilligt und russischen Angriffskrieg verurteilt, scheint für Israel ein anderes Regelwerk zu gelten: Ein Staat, angegriffen, bombardiert, massakriert – und dennoch wird vor allem gefragt, wie Israel sich nun bitte zu verhalten habe, um keine »Kritik« zu provozieren.

Denn das Narrativ ist längst eingeführt: Israel = Besatzung. Palästina = Widerstand. Dass Hamas diesen »Widerstand« in Form von Massenvergewaltigungen, Kindererschießungen und Enthauptungen praktiziert, spielt keine große Rolle. Hauptsache, das Verhältnis David-Goliath stimmt noch fürs Plakat.

Zahlen, die keiner hören will

Laut einer repräsentativen Umfrage des Pew Research Centers (2023) glauben über 60 Prozent der westlichen Unterstützer palästinensischer »Befreiungsbewegungen«, dass Hamas ein »legitimer Akteur« sei – obwohl dieselbe Organisation in ihrer Charta die Vernichtung aller Juden weltweit fordert (Artikel 7). Nicht Israels Grenzen von 1967. Nicht die Zwei-Staaten-Lösung. Nein: alle Juden.

Im Gazastreifen selbst zeigte eine Al-Jazeera-nahe Befragung aus dem Jahr 2021, dass rund 67 Prozent der Bevölkerung Hamas oder dem Islamischen Dschihad ihre Zustimmung geben. Menschen, die Kritik daran äußern, leben gefährlich, auch Journalisten. Wer also glaubt, die palästinensische Zivilbevölkerung sei in einem klassischen Opfer-Täter-Schema als unschuldiges Kollektiv zu betrachten, ignoriert komplexe politische Realitäten und reproduziert am Ende das, was man sonst so gerne »strukturellen Rassismus« nennt: Man spricht Bevölkerungen jede politische Mündigkeit ab, solange sie dem eigenen Gefühlscocktail aus Mitleid und Revolutionsromantik entsprechen.

Gemeinschaftsgefühl statt Analyse

Die Empörung über Israel funktioniert wie ein Sommerfestival: Man kennt die Refrains, man singt mit, es gibt Sticker, Farben und Hashtags. Auf Inhalte oder Konsistenz kommt es nicht an. Da kann man vormittags noch »Free Ukraine« rufen und nachmittags »From the river to the sea«. Der Widerspruch fällt keinem auf, denn auf der Kirmes der Betroffenheit zählen keine Prinzipien, sondern das Gefühl, im richtigen Zelt zu stehen.
Und wehe dem, der versucht, das antisemitische Fundament der Hamas-Ideologie zu erklären – er steht schneller als »rechts« da, als man »BDS« sagen kann.

Solidarität verkommt zur moralischen Accessoire-Politik. Statt nach den Werten zu fragen, die eigentlich verteidigt werden sollen – Demokratie, Pluralismus, Menschenrechte – wird blind ein Kollektiv bejubelt, das diese Werte mit Füßen tritt. Frauenrechte? Schwulenrechte? Pressefreiheit? Alles egal, solange die Flagge schön flattert und die Täter einen »Widerstandsbonus« haben.

Die dümmste aller Brücken: Ukraine und Palästina

Dass sich dieselben linken Stimmen, die Putins Angriffskrieg als imperialistisch und menschenverachtend bezeichnen, gleichzeitig auf die Seite einer islamistischen Terrororganisation schlagen, ist mehr als nur ironisch. Es ist entlarvend: Israel verteidigt sich gegen einen Angriff und wird zum Aggressor erklärt. Die Ukraine verteidigt sich und wird gefeiert.

Man kann nicht gleichzeitig westliche Werte verteidigen wollen und eine Organisation wie Hamas verharmlosen. Das ist nicht links, das ist nicht fortschrittlich; das ist schlicht und einfach reaktionär, weil es Ideologie über Realität stellt. Und es ist brandgefährlich, weil es Antisemitismus eine neue Tarnkappe gibt: die des »Antikolonialismus«, der nichts weiter ist als die Neuauflage des uralten Hasses im Gewand von Menschenrechtsrhetorik.

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Wer wirklich für Menschenrechte eintritt, muss sie auch dann verteidigen, wenn es unbequem ist und auch dann, wenn die Opfer Juden sind. Die linke Szene muss sich fragen lassen, ob sie weiterhin den Pfad moralischer Selbstbefriedigung beschreiten will oder endlich beginnt, den Mut zur Komplexität aufzubringen.

Denn wer auf der Betroffenheitskirmes mitfährt, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann neben Antisemiten im Riesenrad sitzt und der Ausgang nicht mehr zu finden ist.

Der Autor ist Kabarettist und tourt aktuell mit seinem Programm »Hassias – Er ist wieder da. Und er hasst euch noch immer« durch Deutschland. Etwa am 18. Oktober im Berliner Tempodrom.

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