Seit der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 im Deutschen Bundestag dazu aufrief, die Zerschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten nicht länger als »Niederlage«, sondern als »Befreiung« zu begreifen, war der Begriff der »Kapitulation« positiv besetzt und galt – nicht nur für die jüdische Gemeinschaft – lange Zeit als eines der schönsten Worte in der deutschen Sprache.
Vor zwei Wochen erinnerten wir mit Selenskyj, Macron, Scholz und anderen in der Normandie an den 80. Jahrestag des D-Day und den Sieg über den Nationalsozialismus. Es war der 6. Juni 1944, als sich der Nationalsozialismus in seiner Radikalisierungsphase befand – ein Begriff, auf den ich später noch eingehen werde.
Heute müssen wir den Begriff »Kapitulation« wieder verwenden - unter erschreckenden neuen Vorzeichen. Unsere westlichen Werte Gleichheit, Freiheit und Solidarität stehen erneut auf dem Spiel.
Täglich erreichen uns beunruhigende Meldungen, oft versteckt in den Randnotizen der Medien: hier die Absage einer Abiturfeier in Berlin aus Angst vor Pro-Hamas-Randalierern, dort die Schließung jüdischer Restaurants aufgrund von Einnahmeverlusten in Berlin und Frankfurt, deren Inhaber nun auswandern wollen. Und an Universitäten und im Kulturbetrieb breitet sich ein vermeintlich »gebildeter Antisemitismus« aus.
Derzeit geht die größte Gefahr von einem Pakt aus, vor dem wir so lange gewarnt haben: dem Zusammenschluss von Linksradikalen und Islamisten, der jedes Wochenende auf deutschen Straßen sichtbar ist und den öffentlichen Diskurs einnimmt, sodass viele nicht mehr über die Geiseln sprechen, die seit acht Monaten in den Fängen der Hamas sind.
Der Antisemitismus ist längst keine abstrakte Gefahr mehr: das antisemitische Grundrauschen hat sich – angelehnt an die Faschismustheorien – in eine Radikalisierungsphase verwandelt, die sich in offener Gewalt gegen Juden äußert.
Vor wenigen Tagen wurde bei Paris, dem Austragungsort der diesjährigen Olympischen Spiele, ein zwölfjähriges jüdisches Mädchen von drei muslimischen Teenagern judenfeindlich beleidigt und brutal vergewaltigt.
Die Verknüpfung von sexueller Gewalt und Antisemitismus haben wir bereits am 7. Oktober durch die Hamas gesehen. Diese nutzte an diesem Tag, an dem über 1200 Israelis von den Terroristen getötet wurden, Vergewaltigung als Kriegswaffe. Dieses Vorgehen in Europa zu sehen, ist eine weitere Eskalation des Antisemitismus. Einem Antisemitismus, den wir uns vor einigen Jahren in unseren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen konnten.
Nur drei Tage später der nächste Tiefpunkt: Brüssel, die inoffizielle Hauptstadt Europas, sieht sich außerstande, das Fußball-Länderspiel Belgien gegen Israel auszutragen. Der linke Bürgermeister Philippe Close erklärte in einer resignativen Pressemitteilung, dass aus Sicherheitsgründen und wegen möglicher israelfeindlicher Demonstrationen die Austragung des Spiels »unmöglich« sei.
Es sind vor allem linke Parteien, die sich mit Antizionismus bei der muslimischen Community anzubiedern versuchen.
Wir müssen verstehen: Wenn Israelis und Juden in aller Welt Parallelen zwischen dem Holocaust und den aktuellen Angriffen in Europa ziehen, werden diese Verbrechen nicht gleichgesetzt, wohl aber wird die Kontinuität des Antisemitismus aufgezeigt. Schließlich gab es den Ausschluss von Juden schon in den 1930er Jahren, während der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte.
Der Faschismusforscher Robert O. Paxton legte im 20. Jahrhundert eine Studie mit dem Titel »Anatomie des Faschismus« vor. In diesem Klassiker ging es weniger um philosophische Fragen, sondern um die Praxis faschistischer Bewegungen. Er unterteilte die Phasen des Faschismus: Entstehung der Bewegung, Verankerung im politischen System, Machtausübung und Radikalisierung.
Wenn der politische Islam und seine linken Ermöglicher es schaffen, dass die inoffizielle Hauptstadt Europas, Brüssel, nicht sicherstellen kann, israelische Mannschaften vor Hass-Demonstrationen zu schützen, befinden wir uns – faschismustheoretisch – nicht mehr in der Entstehungsphase, sondern mitten in der Radikalisierungsphase.
Um es deutlich zu sagen: Es ist fünf nach zwölf. Deswegen tauchen auch die Begriffe der »Heimatlosigkeit« (Améry), »Resignation« und »Kapitulation« im innerjüdischen Diskurs wieder auf.
Wie kann es sein, dass eine Stadt wie Brüssel, in der die EU-Kommission und das EU-Parlament ihren Sitz haben, nicht in der Lage ist, den jüdischen Sport zu schützen? Wenn diese Kapitulation Schule macht, wird es einsam um den jüdischen Sport in Europa. Dieser Vorgang ist inakzeptabel und muss mit aller Entschiedenheit revidiert werden.
Gedenkveranstaltungen wie am D-Day sind wichtig, aber wir brauchen jetzt konsequente politische Maßnahmen gegen diese Entwicklungen. Wieder einmal appellieren wir an die Verantwortlichen, es dürfe nicht bei Worthülsen bleiben. Wir erleben seit dem 7. Oktober eine Massenbewegung des Antisemitismus. Es braucht nun endlich ein eindeutiges Handeln!
Für MAKKABI Deutschland ist klar: Aufgeben ist keine Option. Wenn Brüssel diese skandalöse Entscheidung nicht revidiert und das Spiel nicht austragen will, sollte Belgien auf das Heimrecht verzichten und das Spiel der Nations League nach Israel verlegen. Israel kann und wird, trotz des Krieges mit Hisbollah und Hamas, die Sicherheit garantieren.
Man könnte so wenigstens den Schaden begrenzen und ein Zeichen an all diejenigen senden, die den Sicherheitsaspekt als billigen Vorwand dafür verwenden, ihren Israel- und Judenhass nicht offen aussprechen zu müssen.
Lassen Sie uns dafür sorgen, dass der Begriff »Kapitulation« ein historischer Begriff des 20. Jahrhunderts bleibt und sich auf die Befreiung vom Nationalsozialismus bezieht. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen.
Sprechen Sie mit Ihren Freunden, Vorgesetzten, Ihrer Familie und den politischen Verantwortlichen über diese Zustände. Zeigen wir, dass wir Anständigen, wir Demokraten mehr sind als diese antisemitischen Randalierer.