Kommentar

Hoffnung auf einen wirklichen Wechsel

Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Foto: picture alliance/dpa

Am Ende dürfte es auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als letzter im Land tief in seinem Innern gewusst haben: Anders als bei der Bundestagswahl vor dreieinhalb Jahren würde es dieses Mal nicht für ihn reichen. Trotz seiner Beteuerungen, dass die noch unentschlossenen Wähler den Unterschied machen und ihn zum Kanzler machen würden, sprachen alle relevanten Wahlumfragen eine ganz andere Sprache.

Das Land sehnte sich nach einem Politikwechsel. Die Ampel-Regierung – voller Elan als »Fortschrittskoalition« gestartet – war schon seit Langem krachend gescheitert. Und mit ihr Olaf Scholz.

Nun ist es amtlich: Die SPD ist auf historisch schlechte 16,2 Prozent abgestürzt. Die Grünen kommen auf gerade einmal 12 Prozent der Stimmen. Die FDP, der viel zu spät die alte Lindnersche Weisheit eingefallen ist, wonach es besser ist, nicht zu regieren, als falsch zu regieren, zahlt für dreieinhalb Jahre Mitgehangen-Mitgefangen die Zeche und zieht nicht einmal in den Bundestag ein.

Der unumstrittene Wahlsieger: CDU-Chef Friedrich Merz und seine Union. Nach 24,1 Prozent bei den letzten Wahlen konnten die Konservativen um vier Prozentpunkte zulegen.

Trauriger Rekord: Die zu großen Teilen rechtsradikale AfD konnte ihre Stimmen verdoppeln. Zweifellos eine Folge der schwachen Ampel-Regierung, der es weder bei der Migrations- noch bei der Wirtschafts- und Energiepolitik gelungen ist, schlüssige Antworten auf die drängendsten Fragen der Zeit vorzulegen.

Insgesamt muss das letzte Jahrzehnt für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt als politisch verlorenes Jahrzehnt bezeichnet werden. Da wären zum einen die letzten anderthalb Legislaturperioden von Angela Merkel (CDU). Die weit nach links Richtung Mitte gerückte Konservative verwaltete – der ein oder andere politische Beobachter wird sagen »simulierte« – die letzten Jahre ihrer Kanzlerschaft mehr als sie aktiv zu gestalten. Es folgten zum anderen die dreieinhalb Ampeljahre mit rasant steigenden Energiepreisen, Rekordinsolvenzen von Unternehmen und dramatisch erodierendem Vertrauen der Bürger in die Politik infolge der illegalen Migration einerseits und dem Verlust von Sicherheit auch infolge der oftmals gescheiterten Integration andererseits.

Die Hoffnung auf einen wirklichen Politikwechsel im Land ist nun übergroß. Friedrich Merz und seine Union stehen vor der für die Demokratie existenziellen Herausforderung, das verloren gegangene Vertrauen möglichst schnell wiederherzustellen.

Zu den wichtigsten Aufgaben gehören: die Entlastung der Unternehmen, die die hohen Energiepreise und bürokratische Gängeleien wie ein Mühlstein um den Hals tragen; Rahmenbedingungen schaffen, die die Wirtschaft stärken, wovon letztendlich jeder in diesem Land profitiert; die Klimaerwärmung zu verlangsamen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen; die Steuerlast der Mitte der Gesellschaft endlich wieder zu senken; die Bekämpfung der illegalen Migration und eine effektive Steuerung der legalen Migration. Und nicht zuletzt: die Wiederherstellung der inneren Sicherheit.

Womit wir beim jüdischen Blick auf die Bundespolitik wären. Auch hier darf es kein weiter so geben. Seit dem 7. Oktober 2023 finden im Land unter dem Deckmantel »propalästinensisch« wöchentlich zahlreiche judenfeindliche Kundgebungen statt. Terrorverharmlosung und Israelhass pur inklusive. Wer als politischer Verantwortungsträger den Satz »Nie wieder!« wirklich ernst meint, der darf diese Eskalation des Judenhasses nicht länger tolerieren – oder nie wieder »nie wieder« im Munde führen.

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Dasselbe beim Thema Israel: Hier braucht es von der neuen Bundesregierung zwingend eine Kehrtwende. Wer wie die in jüdischen Kreisen massiv kritisierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vorgibt, an Israels Seite zu stehen, gleichzeitig aber keine Gelegenheit auslässt, den Juden unter den Staaten international weiter zu isolieren, der hat jede Glaubwürdigkeit verspielt. Wer sich wie die selbst erklärte Völkerrechtlerin als Freundin Israels bezeichnet, gleichzeitig aber ein stilles Waffenembargo vorantreibt, sich bei israelfeindlichen Resolutionen enthält und den jüdischen Staat mehr als Aggressor denn als notwendigerweise wehrhaft begreift, der kann kein Vorbild für deutsche Außenpolitik sein.

Nicht anders Olaf Scholz: Ob bei den judenfeindlichen Eklats rund um seine Kulturstaatsministerin Claudia Roth oder den vor Israelhass triefenden Aussagen seiner Parteikollegin Aydan Özoğuz: Allzu häufig hatte man bei dem Kanzler den Eindruck, dass bei ihm das Eintreten gegen Judenhass eben nicht Chefsache ist.

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Ist Friedrich Merz und der Union diese Kehrtwende in allen genannten Bereichen zuzutrauen? Zu wünschen wäre es ihm. Die Voraussetzungen sind gut. Die Union liegt in Umfragen klar vorn. Doch für welche Koalition wird es am Ende reichen? Es wird eine schwierige Regierungsbildung befürchtet.

Fest steht, dass sich – bei welcher Koalition auch immer – ein Scheitern wie bei der Ampel nicht wiederholen darf. Die Rechtsextreme AfD hat in den letzten dreieinhalb Jahren fast doppelt so viele Stimmen gewinnen können wie zuvor. Die demokratischen Parteien mögen es leugnen, aber es ist eine Binse: Die Extremisten von rechts und links sind nur so stark, wie die etablierten Parteien sie werden lassen. Es wird Aufgabe von Friedrich Merz sein, diese Entwicklung zu stoppen. Mit guter Sachpolitik und anders als Angela Merkel und Olaf Scholz ohne offenkundige Herausforderungen aus ideologischen Gründen zu ignorieren.

Friedrich Merz konnte bislang von der großen Enttäuschung der Ampel profitieren. Von nun an muss er liefern.

engel@juedische-allgemeine.de

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