Als Jude ist Antisemitismus mein ständiger Begleiter. Er hat mich aber nie von meinem Engagement für Deutschland als Bürger, Wissenschaftler, Demokrat und Sozialdemokrat abgehalten. Und doch haben mich ab 2017 meine Zweifel und Ängste als jüdischer Sozialdemokrat aufgrund des wachsenden, aber unterschätzten israelbezogenen Antisemitismus in unserem Land zunehmend beunruhigt.
Meine Beunruhigung wuchs zu Empörung, als am 7. Oktober 2023 die Terrororganisation Hamas Israel überfiel, 1200 Menschen bestialisch ermordete und mehr als 200 brutal nach Gaza entführte. Ich war froh, dass meine Mutter – mit mir die einzige Überlebende des jüdischen Teils unserer Familie – das Berlin vom 7. Oktober 2023 nicht mehr erleben musste. Muslimische Antisemiten feierten auf Berliner Straßen freudig und ungestraft diesen größten Massenmord an Juden nach dem Holocaust. Und das in der einstigen Hauptstadt des Holocaust.
Viele in der SPD haben den Kampf gegen Antisemitismus vergessen
In kürzester Zeit, noch vor Ende 2023, wich anfängliche Solidarität mit Juden in Israel und Deutschland der Kritik an Israels unausweichlichem Krieg gegen die Terrororganisation Hamas. Als Anfang 2024 Anti-rechts-Demos in ganz Deutschland stattfanden, schien der 7. Oktober bereits weit weg. Viele, auch in meiner SPD, vergaßen ihren Kampf gegen Antisemitismus. Er blieb auf den Demos unerwähnt, so als würde »gegen rechts« automatisch den Kampf gegen Antisemitismus mit einschließen. Sie übersahen den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen.
In meiner Heimatstadt, wo ich früher SPD-Fraktionsvorsitzender und Leiter des Thüringer Landespatentzentrums war, wurde ich von den Demo-Organisatoren, darunter Sozialdemokraten, als Redner für ungeeignet empfunden. Man wollte mich den arabischen Studenten unserer Universität und den arabischen Geflüchteten nicht zumuten. Das erinnerte mich an eine junge Jüdin bei uns in Erfurt, die der deutsche Betreuer im Integrationskurs bat, ihre jüdische Identität zu verschweigen, weil die syrischen Kursteilnehmer zwar gut gebildet, aber antisemitisch seien.
Im Jahr 2025 fordern die führenden Politiker der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich und Adis Ahmetović, dass die deutsche Bundesregierung in ihrer Israelpolitik eine Wende vollzieht. Dabei werden sie offenbar von der Spitze sowie großen Teilen der Fraktion unterstützt. Sie fordern Sanktionen gegen Israel, sagen aber kein Wort zum Iran, der Hisbollah, den Huthi oder der Hamas.
Ich habe das Gefühl, dass Juden wie ich für Ralf Stegner und manch anderen als Störung empfunden werden.
Bereits 2014 – ein Jahrzehnt vor dem Massaker vom 7. Oktober 2023 – stellte Ralf Stegner deutsche Rüstungsexporte nach Israel infrage. Zu diesem Zeitpunkt war er Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein und stellvertretender SPD-Parteivorsitzender. Damals antwortete ich: »Wäre die Hamas 2005 nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen nicht aufgerüstet worden, hätte es den letzten Gazakrieg nicht gegeben und Gaza wären die großen Opfer erspart geblieben. Auch die israelischen Opfer hätte es nicht gegeben. Wäre aber Israel nicht gerüstet, würde Israel innerhalb weniger Monate nicht mehr existieren. Hamas, Hisbollah, IS, Iran und andere Kräfte in Israels Nachbarschaft lassen daran keinen Zweifel.«
Diesen Unterschied zwischen dem jüdischen Staat und den Terrororganisationen scheint Ralf Stegner selbst nach dem 7. Oktober 2023 zu ignorieren. Dass er als Bundestagsmitglied 2025 während des Kriegs gegen die Hamas den Stopp deutscher Waffenexporte nach Israel fordert, ist keine Überraschung. Dass er mir weder früher noch heute antwortet, ist ebenso konsequent. Ich habe das Gefühl, dass Juden wie ich für Herrn Stegner und manch anderen als Störung empfunden werden, obwohl ich mir als Demokrat und Sozialdemokrat nichts vorzuwerfen habe.
Adis Ahmetović hat mir auf meine Kritik geantwortet, verstehen will er sie aber nicht. Dass er mich auf das Leid in Gaza hinweist, ist richtig und wichtig, allerdings gibt er keine Antwort auf die verschiedenen Argumente in meinem Brief. Ich denke, dass die von Herrn Ahmetović geleitete SPD-Arbeitsgruppe Außenpolitik der Bundestagsfraktion und ich uns einfach nicht verstehen – wahrscheinlich nicht erst seit dem 7. Oktober 2023.
Wäre ein Austritt aus der SPD sinnvoll?
Ich muss über meinen Platz in der SPD nachdenken. Dabei geht es mir nicht um meine Ängste vor Herrn Stegner und anderen. Ich denke vor allem an unsere lange jüdische Tradition in der Sozialdemokratie, zum Beispiel, wenn ich an Gräbern auf jüdischen Friedhöfen stehe, etwa am Grab von Ferdinand Lassalle auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Breslau. Ich frage mich, ob unsere traurigen Erfahrungen und mein bisheriges Engagement zum bloßen Störfaktor für die Partei geworden sind. Aber wäre mein Austritt aus der SPD sinnvoll? Es würde mir schwerfallen, diesen Schritt zu gehen. Wie würde ich es meiner jüdischen Gemeinschaft sagen? Und wie unseren jüdischen Jugendlichen, die heute Angst in deutschen Universitäten haben und eigentlich Unterstützung bräuchten, um in Deutschland zu bleiben?
Falls die SPD-Bundestagsfraktion einen Kurswechsel beschließt, mit dem sie sich der antiisraelischen Initiative Großbritanniens und weiterer Staaten anschließt, und sich Forderungen nach Sanktionen und einseitigem Druck auf Israel zu eigen macht, werde ich die SPD verlassen. Denn damit würde nur die Terrororganisation Hamas gestärkt werden, und Deutschland seine besondere Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Volk vernachlässigen.
Ich bitte die SPD-Bundestagsfraktion, in ihrer Haltung zum jüdischen Staat nicht Herrn Ralf Stegner, Herrn Matthias Miersch, Herrn Rolf Mützenich und Herrn Adis Ahmetović zu folgen.
Seien wir selbstkritisch! Unsere demokratischen Länder haben jahrelang im Kampf gegen den Terror des Irans und seiner Verbündeter versagt. Die tödliche Gefährdung Israels in einem Mehrfrontenkrieg war das Ergebnis. Das unzureichende Engagement der Demokratien hat die Terroristen ermutigt, die Waffen gegen Israel nicht niederzulegen und die Geiseln bis heute nicht freizulassen. Den Kampf gegen den Terror weitgehend Israel zu überlassen, ist beschämend für die demokratischen Länder.
Der Autor ist Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.