Essay

Habe ich noch einen Platz in der SPD?

Reinhard Schramm, Jahrgang 1944, ist Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Foto: IMAGO/ari

Essay

Habe ich noch einen Platz in der SPD?

Der Schoa-Überlebende Reinhard Schramm ist Sozialdemokrat. Doch seit dem 7. Oktober 2023 hadert er immer öfter mit seiner Partei. Nachdem führende SPD-Politiker Sanktionen gegen Israel gefordert haben, denkt er sogar über einen Austritt nach

von Reinhard Schramm  27.07.2025 16:09 Uhr

Als Jude ist Antisemitismus mein ständiger Begleiter. Er hat mich aber nie von meinem Engagement für Deutschland als Bürger, Wissenschaftler, Demokrat und Sozialdemokrat abgehalten. Und doch haben mich ab 2017 meine Zweifel und Ängste als jüdischer Sozialdemokrat aufgrund des wachsenden, aber unterschätzten israelbezogenen Antisemitismus in unserem Land zunehmend beunruhigt.

Meine Beunruhigung wuchs zu Empörung, als am 7. Oktober 2023 die Terrororganisation Hamas Israel überfiel, 1200 Menschen bestialisch ermordete und mehr als 200 brutal nach Gaza entführte. Ich war froh, dass meine Mutter – mit mir die einzige Überlebende des jüdischen Teils unserer Familie – das Berlin vom 7. Oktober 2023 nicht mehr erleben musste. Muslimische Antisemiten feierten auf Berliner Straßen freudig und ungestraft diesen größten Massenmord an Juden nach dem Holocaust. Und das in der einstigen Hauptstadt des Holocaust.

Viele in der SPD haben den Kampf gegen Antisemitismus vergessen

In kürzester Zeit, noch vor Ende 2023, wich anfängliche Solidarität mit Juden in Israel und Deutschland der Kritik an Israels unausweichlichem Krieg gegen die Terrororganisation Hamas. Als Anfang 2024 Anti-rechts-Demos in ganz Deutschland stattfanden, schien der 7. Oktober bereits weit weg. Viele, auch in meiner SPD, vergaßen ihren Kampf gegen Antisemitismus. Er blieb auf den Demos unerwähnt, so als würde »gegen rechts« automatisch den Kampf gegen Antisemitismus mit einschließen. Sie übersahen den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen.

In meiner Heimatstadt, wo ich früher SPD-Fraktionsvorsitzender und Leiter des Thüringer Landespatentzentrums war, wurde ich von den Demo-Organisatoren, darunter Sozialdemokraten, als Redner für ungeeignet empfunden. Man wollte mich den arabischen Studenten unserer Universität und den arabischen Geflüchteten nicht zumuten. Das erinnerte mich an eine junge Jüdin bei uns in Erfurt, die der deutsche Betreuer im Integrationskurs bat, ihre jüdische Identität zu verschweigen, weil die syrischen Kursteilnehmer zwar gut gebildet, aber antisemitisch seien.

Im Jahr 2025 fordern die führenden Politiker der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich und Adis Ahmetović, dass die deutsche Bundesregierung in ihrer Israelpolitik eine Wende vollzieht. Dabei werden sie offenbar von der Spitze sowie großen Teilen der Fraktion unterstützt. Sie fordern Sanktionen gegen Israel, sagen aber kein Wort zum Iran, der Hisbollah, den Huthi oder der Hamas.  

Ich habe das Gefühl, dass Juden wie ich für Ralf Stegner und manch anderen als Störung empfunden werden.

Bereits 2014 – ein Jahrzehnt vor dem Massaker vom 7. Oktober 2023 – stellte Ralf Stegner deutsche Rüstungsexporte nach Israel infrage. Zu diesem Zeitpunkt war er Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein und stellvertretender SPD-Parteivorsitzender. Damals antwortete ich: »Wäre die Hamas 2005 nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen nicht aufgerüstet worden, hätte es den letzten Gazakrieg nicht gegeben und Gaza wären die großen Opfer erspart geblieben. Auch die israelischen Opfer hätte es nicht gegeben. Wäre aber Israel nicht gerüstet, würde Israel innerhalb weniger Monate nicht mehr existieren. Hamas, Hisbollah, IS, Iran und andere Kräfte in Israels Nachbarschaft lassen daran keinen Zweifel.«

Diesen Unterschied zwischen dem jüdischen Staat und den Terrororganisationen scheint Ralf Stegner selbst nach dem 7. Oktober 2023 zu ignorieren. Dass er als Bundestagsmitglied 2025 während des Kriegs gegen die Hamas den Stopp deutscher Waffenexporte nach Israel fordert, ist keine Überraschung. Dass er mir weder früher noch heute antwortet, ist ebenso konsequent. Ich habe das Gefühl, dass Juden wie ich für Herrn Stegner und manch anderen als Störung empfunden werden, obwohl ich mir als Demokrat und Sozialdemokrat nichts vorzuwerfen habe.

Adis Ahmetović hat mir auf meine Kritik geantwortet, verstehen will er sie aber nicht. Dass er mich auf das Leid in Gaza hinweist, ist richtig und wichtig, allerdings gibt er keine Antwort auf die verschiedenen Argumente in meinem Brief. Ich denke, dass die von Herrn Ahmetović geleitete SPD-Arbeitsgruppe Außenpolitik der Bundestagsfraktion und ich uns einfach nicht verstehen – wahrscheinlich nicht erst seit dem 7. Oktober 2023.

Wäre ein Austritt aus der SPD sinnvoll?

Ich muss über meinen Platz in der SPD nachdenken. Dabei geht es mir nicht um meine Ängste vor Herrn Stegner und anderen. Ich denke vor allem an unsere lange jüdische Tradition in der Sozialdemokratie, zum Beispiel, wenn ich an Gräbern auf jüdischen Friedhöfen stehe, etwa am Grab von Ferdinand Lassalle auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Breslau. Ich frage mich, ob unsere traurigen Erfahrungen und mein bisheriges Engagement zum bloßen Störfaktor für die Partei geworden sind. Aber wäre mein Austritt aus der SPD sinnvoll? Es würde mir schwerfallen, diesen Schritt zu gehen. Wie würde ich es meiner jüdischen Gemeinschaft sagen? Und wie unseren jüdischen Jugendlichen, die heute Angst in deutschen Universitäten haben und eigentlich Unterstützung bräuchten, um in Deutschland zu bleiben?

Falls die SPD-Bundestagsfraktion einen Kurswechsel beschließt, mit dem sie sich der antiisraelischen Initiative Großbritanniens und weiterer Staaten anschließt, und sich Forderungen nach Sanktionen und einseitigem Druck auf Israel zu eigen macht, werde ich die SPD verlassen. Denn damit würde nur die Terrororganisation Hamas gestärkt werden, und Deutschland seine besondere Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Volk vernachlässigen.

Lesen Sie auch

Ich bitte die SPD-Bundestagsfraktion, in ihrer Haltung zum jüdischen Staat nicht Herrn Ralf Stegner, Herrn Matthias Miersch, Herrn Rolf Mützenich und Herrn Adis Ahmetović zu folgen.

Seien wir selbstkritisch! Unsere demokratischen Länder haben jahrelang im Kampf gegen den Terror des Irans und seiner Verbündeter versagt. Die tödliche Gefährdung Israels in einem Mehrfrontenkrieg war das Ergebnis. Das unzureichende Engagement der Demokratien hat die Terroristen ermutigt, die Waffen gegen Israel nicht niederzulegen und die Geiseln bis heute nicht freizulassen. Den Kampf gegen den Terror weitgehend Israel zu überlassen, ist beschämend für die demokratischen Länder.

Der Autor ist Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Charlotte Knobloch

Pessimismus können wir uns nicht leisten

Nach dem Terror in Sydney fragen sich auch Juden hierzulande erneut: Wohin? Deutschland hat bewiesen, dass es jüdischen Menschen eine Heimat sein kann und will, meint die Münchner Gemeindechefin

von Charlotte Knobloch  15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Die Schweiz als Ausweichort: Ein Lehrstück über den Umgang mit kontroversen Positionen

Linke Intellektuelle verbreiteten auf einer Tagung anti-israelische Verschwörungstheorien. Die Veranstaltung zeigt, warum wir den offenen, präzisen Diskurs gegen jene verteidigen müssen, die Wissenschaftlichkeit als Tarnkappe missbrauchen

von Zsolt Balkanyi-Guery  12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Andrea Kiewel

Ein Weltwunder namens Regen

Jedes Jahr im Dezember versetzt der Regen die Menschen in Israel in Panik - dabei ist er so vorhersehbar wie Chanukka

von Andrea Kiewel  11.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Eurovision: Mobbing statt Musik

Eigentlich versteht jeder, dass Musiker nicht mit ihren Regierungen identisch sind. Wenn es um den jüdischen Staat geht, scheint diese Logik jedoch nicht zu gelten

von Sabine Brandes  07.12.2025