Meinung

Erinnert euch an Ägypten

Mascha Malburg Foto: Marco Limberg

In jedem Jahr erinnern Juden zu Pessach an den Auszug aus Ägypten – auch in Ägypten selbst. Um der kognitiven Dissonanz vorzubeugen, der Befreiung aus Mizraim zu gedenken und weiterhin am Nil leben zu können, existierte unter ägyptischen Juden ein Brauch.

Beim Seder fragte der Hausherr jeden Gast: »Woher kommst du?« Dieser antwortete wahrheitsgetreu: »Aus Ägypten.« Daraufhin fragte der Hausherr: »Und wohin gehst du?« Und man verkündete: »Nach Jerusalem!«

Aus dem Ritual ist Realität geworden: Zehntausende ägyptische Juden sind nach Israel immigriert. Nur eine Handvoll Mitglieder zählen die Gemeinden in Kairo und Alexandria heute. Jedoch haben die wenigsten Juden ihre ägyptische Heimat aus religiöser Sehnsucht verlassen. Sie wurden gewaltvoll vertrieben. Bereits 1945 kam es im Königreich Ägypten zu blutigen Pogromen, bei denen mehrere Menschen starben.

Nach der israelischen Staatsgründung 1948 explodierten Bomben im jüdischen Viertel von Kairo.

Nach der israelischen Staatsgründung 1948 explodierten Bomben im jüdischen Viertel von Kairo. Über 100 ägyptische Juden wurden in diesen Jahren von ihren Nachbarn ermordet. Im Laufe des Suez-Krieges verwies Präsident Nasser schließlich mehr und mehr jüdische Familien des Landes. Manchen blieben nur 24 Stunden, um sich von ihren jahrhunderte­alten Gemeinden zu verabschieden. Erbstücke, Läden und Landgut wurden vom Staat beschlagnahmt. Die Ausreisevisa wurden gestempelt mit »ONE WAY – NO RETURN«.

Im gegenwärtigen Diskurs wird die Erinnerung an die beinahe totale Vertreibung der Juden aus Ägypten – und ganz ähnlich aus ihren maghrebinischen, levantinischen, jemenitischen oder iranischen Heimatorten – von zwei Projektionen verdrängt: Die einen fantasieren über ein stets friedvolles jüdisch-muslimisches Zusammenleben, das allein durch die israelische Staatsgründung zerstört wurde.

Die anderen blenden die Flucht von fast einer Million Juden aus der muslimischen Welt ganz aus, um ihr Trugbild der Israelis als »white colonizers« aufrechtzuerhalten. Beiden sei im übertragenen Sinne geraten, was Juden jedes Jahr an Pessach tun: sich vor Augen führen, wie dieser Exodus tatsächlich ablief.

malburg@juedische-allgemeine.de

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