Einspruch

Eine Frage der Führung

Volker Beck Foto: Marco Limberg

In Sachen Krisenkommunikation bei Antisemitismusvorfällen hat Peter Limbourg, Intendant der Deutschen Welle (DW), mindestens eine »Zwei plus« verdient. Als aufgrund der Recherchen von »Süddeutscher Zeitung« und »Vice Deutschland« die Hinweise auf Antisemitismus und Israelhass erdrückend wurden, hat man schnell vom Bestreiten der Vorwürfe auf Aufklärung und unabhängige Untersuchungen durch unbestreitbar kompetente und gut beleumundete Personen umgeschaltet.

Diese Woche wurde nun der Untersuchungsbericht zu Antisemitismusvorwürfen bei der DW von Ahmed Mansour und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgestellt. Bei der Präsentation des Expertenberichts stand für den Sender im Vordergrund, es gebe bei ihm keinen strukturellen Antisemitismus. So sagt es auch der Report.

entlassung Die Entlassung einer Handvoll Mitarbeiter der arabischen Redaktion und ein Zehn-Punkte-Plan, der als Neuerung lediglich ein »Kompetenzteam« in der Chefredaktion und »Dialogformate« in der MENA-Region enthält, soll den Befreiungsschlag bringen. Ansonsten Kontinuität: Vorhandenes soll »strenger«, »breiter« und höher, aber auch »gestärkt«, »erweitert« und »geschärft« werden.

Nach Neuanfang klingt das alles nicht. Dabei gibt es viele Hinweise auf grundlegende Probleme.

Nach Neuanfang klingt das alles nicht. Dabei gibt es viele Hinweise auf grundlegende Probleme: Das beschriebene Klima, Strukturen und Rekrutierung verursachen Kopfschütteln. Über 390 Millionen Euro erhält der Sender jährlich: von einem »tiefgreifenden strategischen Veränderungsprozess«, einem »global agierenden Medienunternehmen« ist die Rede. Bei dem Versuch, »an Reichweite zu gewinnen«, sagen die Experten, ist »zu wenig Priorität auf die Verkörperung der Werte der DW gelegt worden«. Die Verantwortung hierfür trägt die Spitze, nicht ein aus dem Ruder gelaufener Mitarbeiter.

Allein sechs Seiten des Berichts beschäftigen sich zudem mit »objektiven Unwahrheiten« in der deutschsprachigen Berichterstattung zu Israel, die erst im Dezember korrigiert wurden. Sie waren zuvor durch den Historiker Jörg Gehrke öffentlich gemacht worden. Teilweise jahrelang hielt sie im Haus niemand für korrekturbedürftig. Auch dass man bis heute keine Verständigung auf eine Antisemitismus-Definition hat, zeigt: Es gibt ein Problem fehlender geistiger Führung.

fehlerkultur Wenn der Satz fällt, »Antisemitismus hat keinen Platz bei uns«, werde ich hellhörig. In dieser Affäre fiel er gleich mehrmals: vom Intendanten selbst wie vom DW-Rundfunkratsvorsitzenden. Es zeigt sich, dass er kontrafaktisch ist. Wäre er ohne den Skandal realistischer? Sicher nicht. In einer Gesellschaft, in der 40 Prozent der Bevölkerung Haltungen des israelbezogenen Antisemitismus teilen, kann sich keine größere Organisation vom Antisemitismusproblem pauschal freisprechen. Wer eine Institution gegen die Verbreitung von Antisemitismus wappnen will, muss eine Fehlerkultur der Selbst- und Antisemitismuskritik etablieren.

Das kann alles nur ein Anfang gewesen sein. Jetzt sind Bundesregierung und Bundestag gefragt. Denn »Reichweite ohne angemessene Inhaltsvermittlung« – so der Bericht – »kann keine Strategie der DW sein«.

Der Autor ist Gründer des Tikvah Instituts zur Antisemitismuserforschung.

Meinung

Das letzte Wort zum »Völkermord«

Wer für einen Genozid verantwortlich ist, versorgt dessen angebliche Opfer nicht. In Gaza tut Israel, was es tun muss

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Meinung

Vereinte Nationen: Alter Wein in neuen Schläuchen

Kommende Woche soll in New York eine Resolution zum Nahostkonflikt verabschiedet werden. Sie ist hochproblematisch. Deutschland sollte dagegen stimmen

von Jacques Abramowicz  18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025