Meinung

Ein inkonsistentes Traktat aus Straßburg

Volker Beck ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Foto: imago/IPON

Meinung

Ein inkonsistentes Traktat aus Straßburg

Das EU-Parlament hat für ein Papier über die »Beziehungen zur Palästinensischen Behörde« gestimmt. Mit rationaler Außenpolitik hat dieses jedoch wenig zu tun.

von Volker Beck  14.07.2023 09:15 Uhr

Mit 62 Prozent Zustimmung hat das Europäische Parlament ein 17-seitiges Traktat voller Widersprüche zum Verhältnis der Europäischen Union zur »Palästinensischen Behörde« verabschiedet. Das inhaltliche Durcheinander des Beschlusses beweist, dass die EU-Politik gegenüber Israel mehr mit politischer Identitätsbildung, also populistischer Innenpolitik, als mit rationaler Außenpolitik zu tun hat.

Zentraler Streitpunkt im Vorfeld des Beschlusses war die Haltung des Parlamentes zum Verfahren gegen Israel beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Die entsprechende Passage wurde zwar rhetorisch etwas verdünnt, im Kern blieb es jedoch bei der Forderung, »die Ermittlungen und die Strafverfolgung« durch den IStGH wegen »Kriegsverbrechen« in den »besetzten palästinensischen Gebieten« voranzutreiben.

Rechtsstaat Israel ist kein Vertragsstaat des Gerichtshofes und eigentlich ruft man diesen nur an, wenn ein Land Verbrechen nicht selbst ahndet. Das ist bei Israel aber nicht der Fall: Israels Rechtsstaat ist zwar sicher nicht perfekt - die unabhängige israelische Justiz hat jedoch bei Verdachtsfällen von Rechtsverletzungen durch Militär und Sicherheitskräfte immer wieder ermittelt, angeklagt und, wo nötig, entsprechend geurteilt. Der Oberste Gerichtshof Israels hat dabei auch zugunsten palästinensischer Kläger entschieden. Die Anrufung eines internationalen Tribunals ist also absolut unverhältnismäßig und stellt einen weiteren Baustein einer internationalen Kampagne gegen Israel dar. Man versteht dieses Manöver des Europäischen Parlaments nur, wenn man sich an Léon Poliakovs Diktum erinnert: »Israel ist der Jude unter den Staaten«.

Gerade jetzt ist dieser Angriff auf Israels Justiz aus Europa unverantwortlich und unsolidarisch.

Gerade jetzt, wo die unabhängige Justizvon der Regierungskoalition in Jerusalem infrage gestellt wird, ist dieser Angriff des EU-Parlaments auf Israels Judikative unverantwortlich und unsolidarisch gegenüber der israelischen Bewegung zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Viele Soldaten und Offiziere, die sich auf Israels Straßen den Regierungsplänen für eine Justizreform entgegenstellen, betonen, dass die Unabhängigkeit der israelischen Justiz sie vor Willkür im Ausland schützt.

Lackmustest An anderer Stelle erhält der Text aber auch Positives, zum Beispiel zum antisemitischen Hass in palästinensischen Schulbüchern. Ebenso wird gefordert, dass EU-Mittel weder direkt noch indirekt terroristische Organisationen unterstützen dürfen oder zum Schüren von Hass und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden genutzt werden. Der Lackmustest steht also unmittelbar bevor: Wird die Familie des Attentäters vom 4. Juli, der in Tel Aviv acht Menschen verletzte, eine »Terroristenrente« beziehen? Vermutlich. Wird es Konsequenzen haben? Vermutlich nicht.

Denn gleichzeitig fordert das Parlament, die Einstufung von sechs palästinensischen Nichtregierungsorganisationen durch Israel als terroristisch zurückzunehmen, und die Etats der Palästinensischen Autonomiebehörde ohne Vorbedingung aufzustocken. Mit solch inkonsistenten Texten wird die EU keine konstruktive Rolle im arabisch-israelischen Konflikt einnehmen. Doch ein paar Abgeordneten ist billiger Applaus zu Hause gewiss.

Der Autor ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Meinung

Der 8. Mai und die falschen Konsequenzen

Es ist schwer, Menschen zu kritisieren, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, aber auch Schoa-Überlebende können irren. Aber einen Bogen von der industriellen Vernichtung der Juden zum Krieg in Gaza zu ziehen, ist falsch

von Daniel Neumann  09.05.2025

Kommentar

Die Menschen in Gaza brauchen schnell Hilfe

Eine Demokratie wie Israel sollte sich nicht auf schmutzige Kriegstaktiken wie die Blockade von Hilfsgütern einlassen, auch wenn es sich bei der Hamas um skrupellose, abgrundtief böse Terroristen handelt

von Nils Kottmann  08.05.2025

Kommentar

Ulrike Eifler, die Linkspartei und die Auslöschung Israels

Ein hochrangiges Mitglied der Partei delegitimiert auf X Israel. Die Linke muss sich klar davon distanzieren, wenn sie glaubwürdig für Menschenrechte eintreten will

von Andreas Büttner  08.05.2025

Kommentar

Der Ukraine-Krieg überlagert die Pluralität der Erinnerungen

Die Auffassung, dass jeder nach seiner Fasson dem Zweiten Weltkrieg gedenkt, wurde durch Russlands Einmarsch in die Ukraine zerstört. Lenin- und Roter Stern-Orden jüdischer Veteranen und Veteraninnen und ihre »hundert Gramm« in Erinnerung an die gefallenen Kameraden wirken deplatziert

von Dmitrij Belkin  08.05.2025

Kommentar

Mit aller gebotenen Härte

Ein AfD-Verbotsverfahren ist nach der Verfassungsschutz-Einschätzung der Partei als rechtsextremistisch dringlicher denn je

von Philipp Peyman Engel  07.05.2025

Meinung

Null Toleranz für Gewaltaufrufe

Ein Großereignis wie der Eurovision Song Contest darf keine Sicherheitslöcher zulassen, findet unsere Schweiz-Redakteurin Nicole Dreyfus

von Nicole Dreyfus  07.05.2025

Kommentar

Nur zweite Wahl?

Man muss den neuen Kanzler nicht mögen. Aber eine Chance geben sollte man ihm schon. Mit Heckenschützenmentalität und verantwortungsloser Lust am Zündeln haben einige Parlamentarier mutwillig den guten Ruf unseres Landes aufs Spiel gesetzt

von Michael Thaidigsmann  06.05.2025

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, als in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Kommentar

Springt über euren Schatten!

Friedrich Merz ist schwer angezählt. Trotzdem sollten sich im zweiten Wahlgang alle Abgeordneten einen Ruck geben und ihn zum Kanzler wählen. Es geht um die Demokratie

von Michael Thaidigsmann  06.05.2025