Auf Demonstrationen gegen das islamistische Regime in Teheran scheint sie omnipräsent: die grün-weiß-rote Flagge mit dem Löwen und der Sonne. Viele Menschen sehen sie als Symbol der Freiheit ihres Landes in einer Zeit vor der »Islamischen Revolution« 1979. Auch auf pro-israelischen Versammlungen war diese Fahne zu sehen. Sie soll ein Zeichen gegen den eliminatorischen Antisemitismus der Mullahs gegenüber dem jüdischen Staat setzen. Das ist nicht unstimmig: Denn die Islamische Republik unterdrückt nicht nur brutal die eigene Bevölkerung, sondern finanziert weltweit islamistische Terrororganisationen und destabilisiert den Nahen Osten.
Löwe und Sonne sind trotz ihrer vorherigen Benutzung untrennbar mit dem Regime des Schahs Mohammad Reza Pahlavi verbunden. Außenpolitisch pflegte er diplomatische Beziehungen zu Israel, innenpolitisch schreckte er nicht vor massiver Repression gegen politische Oppositionelle wie linke Kräfte oder Intellektuelle zurück. Für ethnische und religiöse Minderheiten – wie die kurdische oder belutschische – war die Monarchie keineswegs ein Leben in einer freien Gesellschaft. Wer Freiheit und Demokratie einforderte, lebte in ständiger Angst davor, von der Geheimpolizei SAVAK verfolgt, gefoltert und hingerichtet zu werden.
Wer heute für einen demokratischen Iran eintritt, sollte sich vor allem an den emanzipatorischen Kräften orientieren.
Seit dem Mord an der 22-jährigen Kurdin Jîna Mahsa Amini durch die Sittenpolizei im September 2022 ist der kurdische Slogan »Jin, Jîyan, Azadî« (»Frau, Leben, Freiheit«) zu einer zentralen Parole des Widerstands gegen den »Revolutionsführer« Ali Chamenei geworden. So sind zentrale Forderungen der feministischen Revolution nicht nur das Ende des theokratischen Systems, sondern auch Demokratie und Gleichberechtigung für die ganze Bevölkerung. Die Löwenfahne wirkt dagegen rückwärtsgewandt und ausgrenzend.
Auch die Unterstützung für Reza Pahlavi, den Sohn des letzten Schahs, kann man nicht außen vor lassen. Zwar gibt sich Pahlavi heute als Befürworter eines demokratischen Irans, indem er zum Beispiel sagt, dass er keine Monarchie anstrebe und er seine Funktion in einem Übergangsprozess zu einem demokratischen Iran sehe. Gleichzeitig wolle er dem Willen des iranischen Volkes auch dann folgen, wenn dieses sich eine Monarchie wünsche.
Seine Popularität vor allem in der Diaspora gründet weniger auf einem konkreten politischen Programm als vielmehr auf seiner royalen Abstammung. Sie wird mit Stabilität und Ordnung gleichgesetzt. Das führt zu einer gefährlichen Romantisierung der Vergangenheit, die den demokratischen Teil der Freiheitsbewegung untergraben kann.
Die Ablehnung des islamistischen Regimes darf nicht in Begeisterung für dessen monarchische Vorgänger umschlagen. Wer sich ehrlich für einen freien Iran einsetzt, sollte nicht das Schah-Regime als kleineres Übel sehen. Gute Beziehung mit Israel sind wichtig, können zu mehr Stabilität in der Region führen. Seine antisemitischen Vernichtungsdrohungen und das Atomprogramm zeigen die Bedrohung, die von den Mullahs ausgeht. Ein neues iranisch-israelisches Verhältnis sollte nicht auf dem Boden einer repressiven Vergangenheit, sondern eines progressiven Morgens entstehen.
Die Löwenfahne mag für manche ein Zeichen des Widerstands sein. Doch ihre Geschichte bleibt ambivalent. Und gerade in einem Kontext, in dem um die Zukunft einer ganzen Region gerungen wird, ist es entscheidend, die Symbole dieses Kampfes kritisch zu hinterfragen. Wer heute für einen demokratischen Iran eintritt, sollte sich vor allem an den emanzipatorischen Kräften orientieren, die unter Einsatz von Leib und Leben für Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte kämpfen. Ihr Mut, ihre Vision und ihre Forderungen wie »Jin, Jîyan, Azadî« sollten der Kompass sein, nicht das Erbe einer untergegangenen Monarchie.
Der Autor ist Publizist und lebt in Berlin.