Meinung

Claudia Roth: Späte Einsicht ist besser als keine

Sie würde heute anders abstimmen: Lisa Paus bereut ihre frühere Haltung zur Israel-Boykottbewegung BDS. Dem »Spiegel« sagte die grüne Bundesfamilienministerin: »Die letzten Jahre haben gezeigt: Ich habe mich geirrt.«

Im Mai 2019 war im Bundestag ein fraktionsübergreifender Antrag beschlossen worden, wonach Projekte, die die antisemitische BDS-Bewegung unterstützen, nicht mehr gefördert werden sollten. Paus hatte den Antrag zusammen mit einigen anderen grünen Abgeordneten und großen Teilen der Linksfraktion damals abgelehnt.

Dass Politiker einen Fehler eingestehen, ist selten – und löblich. Noch löblicher wäre es, wenn andere sich anschlössen. Wie wäre es zum Beispiel mit Jürgen Trittin, der gegen den BDS-Beschluss stimmte? Oder mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die zwar als damalige Bundestagsvizepräsidentin nicht mit abstimmte, sich aber einer Distanzierung ihrer Parteikollegen von dem Votum des Parlaments anschloss?

Auf eine entsprechende Anfrage der Jüdischen Allgemeinen teilte die Grünen-Politikerin jetzt mit: »Die Frage zu einer neuen Abstimmung ist rein hypothetisch. Bei jeder Abstimmung kommt es auf den genauen Text an. Jeder Form von Antisemitismus innerhalb und außerhalb des BDS, so Roth, sei sie »immer entschieden entgegengetreten«.

Klingt wie ein Lippenbekenntnis – aber danach wird es interessant. Denn Roth schreibt: »Jetzt muss ich feststellen, dass sich die BDS-Bewegung in den vergangenen Jahren zunehmend radikalisiert hat. Es ist absolut inakzeptabel, wenn BDS-Anhänger Boykotte gegen jüdische Künstlerinnen und Künstler überall wie auch gezielt gegen Künstlerinnen und Künstler aus Israel fordern oder diese organisieren.«

Wirklich erschreckend aber sei, »wie Unterstützer der BDS-Bewegung die Terrorattacken der Hamas relativiert haben. Vor diesem Hintergrund sehe ich die BDS-Bewegung heute noch viel kritischer. Entsprechend arbeite ich mit meiner Behörde und Kulturinstitutionen aus meinem Verantwortungsbereich ganz konkret daran, dass der Raum der Kultur nicht für Aktivitäten der BDS-Bewegung missbraucht werden kann.«

Masal tov! Späte Einsicht ist besser als keine. Allerdings bleibt abzuwarten, wie diese Ankündigung konkret umgesetzt werden soll. Das Online-Medium »ruhrbarone« schrieb vor Kurzem erneut die Leiter von Kulturinstitutionen an, die sich im Dezember 2020 in der Initiative »GG 5.3 Weltoffenheit« von der BDS-Resolution des Bundestags distanziert hatten.

Unter anderem mit der Begründung, unter Berufung auf den Bundestagsbeschluss würden durch« missbräuchliche Verwendung des Antisemitismusvorwurfs« wichtige Stimmen beiseite gedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt.

Die «Ruhrbarone« wollten wissen, ob die Unterzeichner weiterhin zu der Initiative stehen. Allerdings zogen bisher nur Michael Grosse, der Generalintendant und Geschäftsführer des Theaters Krefeld und Mönchengladbach, und Barbara Mundel, die Intendantin der Münchner Kammerspiele, ihre Unterschrift zurück.

Grosse wurde wie folgt zitiert: »Durch den Terrorangriff der Hamas (..) sind sämtliche Positionierungen, die auch nur die Nähe einer Relativierung der Schuldfrage und der daraus erwachsenden Verantwortlichkeiten im Entferntesten assoziieren oder sich dafür missbrauchen lassen könnten, aus meiner Sicht absolut inakzeptabel.«

Und Barbara Mundel schrieb der Jüdischen Allgemeinen am Dienstag auf Anfrage: »Aus heutiger Sicht verstehe ich das Plädoyer GG 5.3 als Teil einer Entwicklung, die israelbezogenen Antisemitismus normalisiert hat. Das teilweise vorhandene Zögern, den grauenvollen Anschlag der Hamas auf Israel zu verurteilen, hat auch mit der Virulenz dieser Form des Antisemitismus zu tun.«

Weiter teilte die Intendantin der Münchner Kammerspiele mit: »Als ich 2020 das Papier unterschrieben habe, habe ich sehr deutlich gemacht, dass ich auf keinen Fall die BDS unterstützen werde (das sagt übrigens auch GG 5.3). Was mir aber in den darauffolgenden Jahren u.a. durch die Kritik des Zentralrats der Juden deutlich geworden ist, ist die Dimension des Antisemitismus, den die BDS international verbreitet. Dazu gehört auch die Täter-Opfer-Umkehr, die jetzt vielfach unter antisemitischen Vorzeichen betrieben wird. Nach Abwägung aller Argumente betrachte ich es heute für falsch, das Plädoyer unterzeichnet zu haben. Ich werde mich hierzu sicher noch detailliert öffentlich äußern.« Man darf gespannt sein!

Zwei von mehr als 20 Unterzeichner, die ihre Meinung geändert haben? Klingt nicht gerade viel. Doch immerhin wurde in der Kulturszene eine Auseinandersetzung angestoßen. Gewonnen ist sie noch lange nicht. Aber sie war überfällig.

Der Kommentar wurde durch das Statement von Barbara Mundel, Intendantin der Münchner Kammerspiele, ergänzt.

Manifest zur Außenpolitik

Gilt das Versprechen der SPD auch für ukrainische Kinder?

Unser Gastautor wurde in der Ukraine geboren und ist Jude. Seit vielen Jahren ist er SPD-Mitglied. Das neue Manifest einiger Altvorderer zur Außenpolitik macht ihn wütend

von Igor Matviyets  13.06.2025

Meinung

Die Menschen im Iran sind Israel dankbar

Der jüdische Staat hat durch seine Luftangriffe den Iranern die Chance gegeben, die islamistische Diktatur in Teheran endlich loszuwerden. Das ist eine historische Gelegenheit

von Saba Farzan  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  13.06.2025

Meinung

Präventivschlag gegen eine existenzielle Bedrohung

Irans Atomprogramm verfolgt keine friedlichen Ziele. Nach dem Scheitern der diplomatischen Bemühungen ist Israels Angriff gerechtfertigt

von Ulrike Becker  13.06.2025

Meinung

Warum Israel die Ukraine jetzt offen militärisch unterstützt

Die Ukraine nutzt nun auch Waffensysteme aus israelischen Beständen. Der Hintergrund für die veränderte Politik Jerusalems ist eine Machtverschiebung in Nahost

von Saba Farzan  12.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  11.06.2025 Aktualisiert

Kommentar

Der Unabhängige

Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis ist nach Israel und ins Westjordanland gereist, um sich eine eigene Meinung über die humanitäre Hilfe in der Region zu bilden

von Nicole Dreyfus  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025

Meinung

Grüne Jugend: Vertrauen verloren

Die jüngsten Aussagen der Co-Vorsitzenden Jette Nietzard zu Nahost waren ein Fehltritt zu viel. Die Grüne Jugend braucht einen personellen Neuanfang

von Ron Dekel  11.06.2025