Karin Prien will Deutschland verlassen, falls die AfD in Zukunft den Bundeskanzler stellen sollte – das kündigte die Bundesbildungsministerin und CDU-Politikerin, die jüdische Wurzeln hat, gerade in einem Interview an. Dem deutschen Staat gelinge es schon heute nicht mehr, Juden wirksam zu schützen vor Angriffen auf der Straße, sagte sie der Funke-Mediengruppe.
Am Wochenende, so Prien, habe sie sich bei einem privaten Treffen mit Jüdinnen und Juden unterhalten über die Frage, ob man jetzt überlege, sich ein finanzielles Polster auch im Ausland zu schaffen: »Also es sind schon so Gedankenspiele, denen ich mich auch nicht vollständig verschließe.«
Ich hingegen halte von solchen Gedankenspielen nichts. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass mir – so wie fast allen Jüdinnen und Juden in Deutschland, von denen bekanntermaßen die meisten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewandert sind -, keine ausreichenden Rücklagen zur Verfügung stehen, um mir eine Existenz im Ausland aufzubauen.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht um eine Neid-Debatte. Dazu ist das Thema zu ernst. Ich verstehe das Anliegen von Karin Prien, ich verstehe ihren Zwischenruf. Gleichzeitig frage ich mich, wie relevant dieser für die Mehrheit der jüdischen Community sein kann, und ob wir Jüdinnen und Juden – wie seit Jahrzehnten nach jedem antisemitischen Vorfall oder Mord – immer wieder über »gepackte Koffer« reden sollten.
Warum sollten wir der AfD eine Freude machen? Nicht alle deutschen Politiker halten uns für ein »unverdientes Geschenk«.
Denn anders als früher gibt es im heutigen Deutschland viele, die über solche Ankündigungen und erst recht über ihre Umsetzung unverhohlen frohlocken dürften – nicht zuletzt in der AfD. Warum sollten wir ihnen eine Freude machen? Nicht alle deutschen Politiker halten uns für ein »unverdientes Geschenk«.
Deutschland ist keine Insel. Seit dem 7. Oktober 2023 zeigt der Antisemitismus in ganz Europa immer stärker auf erschreckende Weise sein Gesicht – zuletzt beim islamistischen Terroranschlag an Jom Kippur auf eine Synagoge in Manchester. Weder in den USA noch in Frankreich sind die politischen Entwicklungen ermutigend. Islamisten gibt es überall, und Rechtspopulisten sitzen in mehreren europäischen Ländern in der Regierung. So erschreckend aktuelle Umfrageergebnisse in unserem Land auch sein mögen – wir sollten sie nicht zum Anlass nehmen, über den Verzicht auf unsere Heimat nachzudenken.
Denn das ist Deutschland für mich: meine Heimat. Als Kind eines Juden, der durch seine Auswanderung 1938 den Nazis nach Palästina entkam und später nach Deutschland zurückkehrte, als Kind einer Jüdin, die mir die Liebe zur deutschen Sprache beibrachte, als Enkelin von Ostjuden, deren Familie die Schoa überlebte, appelliere ich an Karin Prien: Reden Sie nicht vom Weggehen, sondern bleiben Sie hier! Kämpfen Sie wie bisher zusammen mit uns für die Zukunft eines Landes, in dem viele Juden ein Zuhause gefunden habe.
Und sollte die AfD morgen den Bundeskanzler stellen? Dann werden wir weitersehen. Für mich steht fest: Unser Land schon jetzt Rechtsextremisten oder Islamisten zu überlassen, kommt nicht infrage. Auch für Sie bestimmt nicht, Frau Ministerin Prien!
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