Meinung

Bahlsen und die Zwangsarbeit

Max Czollek, Publizist und Lyriker Foto: JA

Meinung

Bahlsen und die Zwangsarbeit

Alternative Fakten über die NS-Zeit von der Erbin des Keks‐Imperiums

von Max Czollek  15.05.2019 07:48 Uhr

Verena Bahlsen, Erbin des deutschen Keksimperiums, ist erst vergangene Woche mit ihrem Auftritt beim OMR Festival bekannt geworden. Mit einem Bekenntnis zu Segeljachten und augenscheinlich großem Stolz auf ihren ererbten Reichtum erntete sie nicht nur Lob, sondern auch viel Kritik, denn Bahlsen hatte während der Nazizeit Zwangsarbeiter beschäftigt und die Wehrmacht mit Gebäck beliefert.

Damit hätte die Geschichte eigentlich ihre Bewandtnis haben können, aber Frau Bahlsen sprach am 11. Mai mit der Bild-Zeitung. Zum Thema Zwangsarbeit sagte sie dabei, was man als Erbin eines deutschen Unternehmens mit Zwangsarbeitergeschichte auf keinen Fall sagen sollte: »Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.«

Zwangsarbeit war für die 250 osteuropäischen Arbeiter bei Bahlsen kein Urlaub in Deutschland, sondern eine moderne Form der Sklaverei.

SKLAVEREI Diese Aussage ist natürlich Unsinn, das weiß jeder, der sich mal mit Zwangsarbeit beschäftigt hat. Zwangsarbeit war für die 250 osteuropäischen Arbeiter bei Bahlsen kein Urlaub in Deutschland, sondern eine moderne Form der Sklaverei. Darum heißt es ja auch Zwangsarbeit. Aus diesem Grund haben 60 der ehemaligen Arbeiter die Firma 2000 auch auf eine Million Euro verklagt. Wie üblich waren die Forderungen den Richtern zufolge verjährt. Eine sehr deutsche Nachkriegsgeschichte.

Nun gibt es drei Möglichkeiten, zu verstehen, was hier vor sich geht. Erste Möglichkeit: Frau Bahlsen will sich einfach über uns alle lustig machen, indem sie das gedankenloseste und arroganteste sagt, was ihr als Erbin eines Unternehmens mit einer solchen Geschichte zu dem Thema einfällt. Nach eingehender Betrachtung glaube ich, dass diese Erklärung nicht zutrifft. Was die Sache allerdings nicht besser, sondern nur noch schlimmer macht.

Zweite Möglichkeit: Frau Bahlsen gibt hier das Familiennarrativ der Keksfamilie wieder. Das würde Bände über das mangelnde Verantwortungsgefühl dieser Familie erzählen, die ihren Reichtum ja nicht zuletzt während der NS-Zeit erworben hat. Bahlsens Ausspruch ist nicht einmal der Versuch einer Entschuldigung, sondern die Zurückweisung historischer Verantwortung. »Das war vor meiner Zeit« ist auch nur eine Version des deutschen Schulhof-Talks »Wir sind doch nicht schuld an den Taten unserer Vorfahren«. Als hätte das irgendjemand behauptet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

WEHRMACHT Und da wird’s interessant. Denn der Reichtum, der bei Frau Bahlsen ja ein ererbter ist, basiert in Teilen auf dem Einsatz von Zwangsarbeit während der NS-Zeit und der Belieferung der Wehrmacht mit Lebensmitteln, wofür die Firma als kriegswichtiger Betrieb sicherlich gut bezahlt wurde. Bahlsen profitierte also nicht nur von Zwangsarbeit, sondern trug aktiv dazu bei, dass die Nazis ihren Vernichtungskrieg weiter durchführen konnten. Wie viele deutschen Unternehmen hat Bahlsen also ein Problem, dass nicht einfach mit der Generationenfolge verschwindet.

Zugegeben, es ist nicht leicht, eine Erbin eines solchen Unternehmens zu sein. Aber immerhin kann man sich mit dem erpressten Reichtum eine Segeljacht leisten und versuchen, die blöde Geschichte ein wenig mit dem Schaukeln der Wellen zu kompensieren. Man kann nur hoffen, dass Frau Bahlsen lernt, mit dem Erbe auch die Verantwortung für die deutsche NS-Geschichte ihrer Firma zu übernehmen.

Bis sie ihren offensichtlichen Mangel an Wissen über die Geschichte Bahlsens während der NS-Zeit aufgeholt hat, sollte Sie einen Teil ihres Geldes für eine Familientherapie, für Geschichtsunterricht und für eine PR-Agentur verwenden, die ihr rät, sich nicht weiter zu äußern. Das ist nämlich wirklich sehr peinlich. Und es geht mir auf den Keks.

Der Autor ist Lyriker, Publizist und lebt in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Sachbuch-Bestseller »Desintegriert euch!«.

Meinung

Die Gut-Wetter Freunde Israels sind zurück! 

Die Wiederaufnahme der Waffenexporte ist richtig und notwendig. Doch das ändert nichts daran, dass die Bundesregierung das Vertrauen Israels und vieler Juden vorerst verloren hat

von Sarah Cohen-Fantl  18.11.2025

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025