W. Michael Blumenthal

Ein turbulentes Leben

W. Michael Blumenthal Foto: Marco Limberg

W. Michael Blumenthal

Ein turbulentes Leben

Der ehemalige US-Finanzminister und erste Direktor des Jüdischen Museums Berlin wird 95 Jahre alt

von Leticia Witte  03.01.2021 09:22 Uhr

In Deutschland kennt man ihn vor allem im Zusammenhang mit dem Jüdischen Museum Berlin: W. Michael Blumenthal. Er stand von 1997 bis 2014 an der Spitze des prominenten Ausstellungshauses und war dessen Gründungsdirektor.

Bevor Blumenthal nach Berlin kam, hatte er bereits eine steile berufliche Karriere in den USA hinter sich. Dort arbeitete er als Wirtschaftsprofessor, Manager, Berater in Politik und Finanzwesen und als Finanzminister für den demokratischen Präsidenten Jimmy Carter. Heute wird Blumenthal, geboren 1926 in Oranienburg bei Berlin, 95 Jahre alt.

novemberpogrome Wie seine berufliche Laufbahn verliefen auch die Jahre bis zum jungen Erwachsenenalter turbulent – jedoch ging es in dieser Phase seines Privatlebens mitnichten aufwärts, sondern tief hinab in die dunklen Zeiten des Nationalsozialismus. Nachdem sein Vater im Zuge der Novemberpogrome von 1938 temporär in das KZ Buchenwald verschleppt worden war, flüchteten die Blumenthals auf den letzten Drücker nach Shanghai. 1947 konnte die Familie in die USA auswandern.

Die Blumenthals flüchteten auf den letzten Drücker nach Shanghai.

Blumenthal wurde in eine assimilierte und alteingesessene jüdische Familie geboren. Seine Eltern hatten 1921 bereits eine Tochter bekommen. Der Vater hatte als Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft und war der Erbe der Oranienburger Bank.

»Man bewohnte ein geräumiges Haus, hatte Personal und konnte nicht klagen«, schreibt Blumenthal in seinem Buch Die unsichtbare Mauer über die 300-jährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie, zu der auch die Intellektuelle Rahel Varnhagen von Ense und der Musiker Giacomo Meyerbeer gehörten.

wirtschaftskrise Wegen der Wirtschaftskrise ging die Bank jedoch pleite. Die Blumenthals zogen nach Berlin, wo Nazi-Schläger bereits ihr Unwesen trieben, und bauten sich eine Existenz mit einem Geschäft auf. Juden wie die Blumenthals, die sich als Deutsche verstanden und fest hinter ihrem Land und dessen Kultur standen, konnten nicht fassen, was im Zuge des Aufstiegs der Nazis passierte.

Die Wende kam mit den Novemberpogromen: Das Geschäft wurde demoliert, der Vater in Buchenwald für sechs Wochen gefoltert und eingesperrt. Die Mutter ergatterte mühsam Tickets für Shanghai, der Vater kam frei, und die vierköpfige Familie flüchtete im April 1939 nach China. »Ich freute mich auf das bevorstehende Abenteuer, aber meinen Eltern standen die Tränen in den Augen«, erinnert sich Blumenthal.

Shanghai war ein anhaltender Schock für die Erwachsenen: erst Gesetzlosigkeit, dann die japanische Besatzung und Leben im Ghetto.

Shanghai sei ein anhaltender Schock für die Erwachsenen gewesen: erst Gesetzlosigkeit, dann die japanische Besatzung und Leben im Ghetto – insgesamt ein elender »Wartesaal«. Erst 1947 konnte die Familie nach San Francisco einwandern. Da war Blumenthal 21 Jahre alt, hatte 65 Dollar in der Tasche und war nach eigener Darstellung voller Tatendrang, um endlich selbstbestimmt ein neues Leben zu beginnen.

staatsbürgerschaft Was er ganz offensichtlich tat. Er erlangte die amerikanische Staatsbürgerschaft, promovierte an der Princeton University und arbeitete dort als Wirtschaftsprofessor. In den 60er-Jahren beriet er die Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. 1977 berief ihn Präsident Jimmy Carter als Finanzminister in sein Kabinett.

1997 wurde Blumenthal dann zum Direktor des Jüdischen Museums Berlin berufen, das 2001 eröffnete. Laut Blumenthal sollte das Haus zeigen, »dass Juden durch Jahrhunderte hindurch tief verwurzelte Deutsche waren und Unentbehrliches zum intellektuellen Leben des Landes und zur Entwicklung Deutschlands zu einer modernen Nation beitrugen«.

1997 wurde Blumenthal zum Direktor des Jüdischen Museums Berlin berufen, das 2001 eröffnete.

Zuletzt geriet das Museum jedoch wegen eines heftigen Streits um seine Ausrichtung in die Schlagzeilen, und Direktor Peter Schäfer trat 2019 zurück. Unter seiner Nachfolgerin Hetty Berg wurde nach einem Umbau die neue Dauerausstellung eröffnet.

bundesverdienstkreuz Der vielfach mit Ehrungen ausgezeichnete Blumenthal, Vater von vier Kindern, ist auch Träger des Bundesverdienstkreuzes. Die tiefere Beschäftigung mit seiner Vergangenheit war nach eigener Darstellung zunächst hinter seinem erfolgreichen Leben in den USA verblasst.

Doch mit dem Älterwerden hätten die Fragen und eine Beschäftigung mit der Vergangenheit eingesetzt, schreibt er: »Wissen ist das Toupet, mit dem wir die Kahlköpfigkeit unserer Ignoranz verdecken, und nun irritierte mich der kalte Luftzug über meinem Haupt immer mehr.«

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025