Interview

»Wir leben alle in der Lüge«

»Hat maneinen Preis, ist es egal, hat man ihn nicht, quält es einen«: Joseph Cedar (M., mit Kippa) in Cannes Foto: festival-cannes

Joseph Cedar, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Drehbuchpreises in Cannes. Hatten Sie damit gerechnet?
Natürlich wünscht sich jeder, Preise zu gewinnen. Ich müsste lügen, wenn ich das nicht zugäbe. Aber es ist auch so: Wenn man nicht im Wettbewerb von Cannes ist, wünscht man sich nichts mehr, als dabei zu sein. Dann kommt die Einladung, und das ist schon mehr als genug. Wenn man dann noch den Trubel erlebt, die Premiere, dann ist das in gewissem Sinn plötzlich ganz normal und bedeutet einem gar nicht mehr so viel. Ähnlich ist es nach meiner Erfahrung mit dem Berlinale-Regiepreis für »Beaufort« 2007 auch mit Auszeichnungen. Hat man sie, sind sie egal, hat man sie nicht, quälen sie einen.

Da sind wir schon mittendrin in Ihrem Film. Dort geht es um den Israel-Preis und die Rivalität zwischen Vater und Sohn.
Ja, beide haben das Gefühl, zurückgewiesen zu werden und ungeliebt zu sein: der Vater von der israelischen Gesellschaft und der Sohn von seinen wissenschaftlichen Kollegen. Beide haben ein bisschen recht, aber beide müssen auch begreifen, dass es unklug ist, sich in den Schmollwinkel zurückzuziehen.

»Footnote« benutzt viele verschiedene künstlerische Mittel. Der Film ist komisch, aber erzählt doch auch von einem sehr ernsten moralischen Dilemma.
Mir gefällt die Idee, »Footnote« als Komödie zu verstehen – es war immer meine Absicht, dass das Publikum sich frei fühlen soll zu lachen; man muss das alles nicht so ernst nehmen. Aber natürlich handelt es sich, streng genommen, um eine Tragödie. Wie die meisten Vater-Sohn-Geschichten.

Würden Sie sagen, dass Ihr Film uns auch Allgemeineres über die israelische Kultur erzählt?
Ich bin immer etwas misstrauisch, wenn etwas zu universal sein will. Natürlich möchte man als Regisseur, dass der eigene Film viele Menschen anspricht. Natürlich ist die ethische Botschaft meines Films: absolute Wahrheit ist unmöglich. Dass
es Wichtigeres gibt. Dass wir alle in der Lüge leben. Dass das vielleicht so sein muss und dass es uns trotzdem quält. Dies alles hat natürlich viel mit Israels Gesellschaft zu tun und mit der politischen Situation, in der wir leben. Da möchte ich nicht drum herum reden. Allerdings gilt das doch vielleicht für jede Gesellschaft, oder? Wenn der Film von Israel handeln sollte, dann gewiss nicht von der ganzen Gesellschaft, sondern von einem bestimmten Segment, dem akademischen Milieu.

Haben Sie zu diesem Milieu selbst Beziehungen?
Ja, mein Vater ist Universitätsprofessor. Insofern kenne ich den Menschenschlag, die Art, sich zu benehmen, zu sprechen, die Machtkämpfe hinter der formalen Freundlichkeit.

Beide Protagonisten Ihres Films, Vater wie Sohn, sind Talmud-Forscher. Warum haben Sie dieses Fach gewählt?
Die Talmud-Fakultät der Hebräischen Universität ist ein besonderer Ort: Es ist die kleinste Universitätsabteilung, aber sie ist weltberühmt für ihre kompromisslose Wahrheitssuche, ihren gnadenlosen Umgang mit Fehlern. Wenn man beginnt, über die Fakultät zu recherchieren, hört man sehr schnell von mythischen Rivalitäten zwischen Dozenten, von Sturheit geradezu epischer Dimension, von exzentrischen Professoren und esoterischen Forschungsgebieten – ich habe mich in das Sujet verliebt. Ein tolles Filmthema!

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland.


Joseph Cedar wurde 1968 in New York geboren und zog im Alter von sechs Jahren nach Israel. Er studierte Philosophie und Theaterwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem, an deren Talmud-Fakultät auch sein vierter Spielfilm »Hearat Shulayim« (Footnote) angesiedelt ist: eine Tragikomödie über zwei Talmud-Forscher, Vater und Sohn. Für den Film, bei dem er auch Regie führte, gewann Cedar bei den Filmfestspielen von Cannes vorige Woche den Drehbuchpreis.

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 13.05.2025

JFBB

Die bessere Berlinale

Das 31. Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg sorgte für eine scharfe Kontroverse, aber vor allem für Dialog und gutes Kino

von Ayala Goldmann  13.05.2025

Kulturkolumne

Shkoyach!

Der Soldat im Speisewagen oder: Warum hören wir nicht öfter zu?

von Ayala Goldmann  13.05.2025

"Imanuels Interpreten" (9)

Der bessere Donald

Der Keyboarder, Sänger und Komponist Donald Fagen gibt der Pop-Musik etwas, das sie dringend braucht: eine große Portion Qualität

von Imanuel Marcus  13.05.2025

Leon Botstein

»Ich möchte wunderbare Musik verteidigen«

Der Chefdirigent des American Symphony Orchestra über vergessene Komponisten, Hannah Arendt und die Hochschulpolitik von Donald Trump

von Christine Schmitt  13.05.2025

ESC

Yuval Raphael: »Bin hier, um Hoffnung zu bringen«

Trotz Boykottaufrufen bleibt Israels Kandidatin für den Wettbewerb optimistisch: Mit ihrem Song »New Day Will Rise« will sie ein Zeichen für Hoffnung und Zusammenhalt setzen

 13.05.2025

Berlin

Ruth Ur wird neue Direktorin der Stiftung Exilmuseum in Berlin

In Berlin soll ein Museum über die Menschen entstehen, die vor den Nazis ins Exil flohen. Die Stiftung, die das Vorhaben vorantreibt, bekommt nun eine neue Direktorin

von Alexander Riedel  12.05.2025

Kulturpolitik

Kulturrat berät künftig zu Antisemitismus

Ziel sei es, Handlungssicherheit innerhalb des Kulturbereichs zu gewinnen

 12.05.2025

Tschechien

Holocaust-Museum in ehemaliger Schindler-Fabrik eröffnet

Der Unternehmer Oskar Schindler rettete viele Juden vor den Nazis. Seine Rüstungsfabrik verlegte er 1944 von Krakau nach Brnenec im heutigen Tschechien. Nun ist dort ein Museum eröffnet worden

 12.05.2025