Redezeit

»Wir bauen kulinarische Brücken«

Talin Bahcivanoglu über jüdisches und armenisches Essen und den Streit um das beste Mazzeknödelsuppe-Rezept

von Philipp Peyman Engel, Udi Shayshon  31.10.2013 16:52 Uhr

Talin Bahcivanoglu Foto: Uwe Steinert

Talin Bahcivanoglu über jüdisches und armenisches Essen und den Streit um das beste Mazzeknödelsuppe-Rezept

von Philipp Peyman Engel, Udi Shayshon  31.10.2013 16:52 Uhr

Frau Bahcivanoglu, Sie haben einen jüdisch-armenischen Kochtreff in Berlin ins Leben gerufen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Essen spielt in der Identität von Menschen bekanntlich eine zentrale Rolle. Meiner Erfahrung nach trifft das auf Juden und Armenier in besonders hohem Maße zu. Und da vor allem Frauen die Esskultur pflegen, habe ich mich zusammen mit Lara Dämmig vom Frauenverein Bet Debora für die Gründung dieses Kochtreffs entschieden. Wichtig war mir dabei, Brücken zwischen Armeniern und Juden zu bauen und beide Kulturen zusammenzubringen.

Wie wird der Kochtreff angenommen?
Wir haben uns vor fünf Jahren zum ersten Mal getroffen. Damals sind gleich über 100 Frauen zusammengekommen. Meine Freundin Gaby Nonhoff hatte Mazzeknödelsuppe gemacht, um sie herum standen alle anderen Frauen – Chaos pur! Sie haben gestritten, von wessen Mutter das beste Mazzeknödelsuppe-Rezept stammt (lacht). Seitdem kommen zu jedem Treff viele Frauen, es ist jedes Mal ein großer Spaß.

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Juden und Armeniern?
Eine ganze Menge. Das betrifft nicht nur die Erfahrung des Genozids, sondern auch viele kulturelle Aspekte. Da ist zum einen das Diaspora-Konzept, das Juden und Armenier verbindet. Beide Völker haben sich ihre Kultur in der Galut erhalten, obwohl sie auch Eigenschaften von den jeweiligen Einheimischen übernommen haben. Zudem gibt es natürlich auch viele kulinarische Gemeinsamkeiten.

Inwiefern?
Sefardische Speisen sind sehr beliebt. Gefüllte Weinblätter zum Beispiel sind in beiden Küchen weit verbreitet, nur, dass die Sefarden im Unterschied zu den Armeniern die Weinblätter karamellisieren. Das erinnert ein wenig an die beliebte Crema Catalana. Eine Gemeinsamkeit ist auch, dass beide in der Zeit des Osmanischen Reiches keine Restaurants kannten, sodass sie immer zu Hause gekocht haben. Deshalb wusste niemand außerhalb der Gemeinschaft, welche Speisen sie gegessen haben.

Wie gut kennen Sie die beiden Kulturen?
Ich bin Armenierin mit jüdischen Wurzeln. Ich stelle immer wieder verwundert fest, dass die Familienkultur von Juden und Armeniern fast identisch ist: Wir lieben, streiten, versöhnen und erinnern uns für unser Leben gern. Wir ähneln uns auch schon allein rein optisch. Immer dann, wenn ich in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin bin, denke ich: Das ist ja wie bei uns!

Was ist Ihr persönliches Lieblingsgericht?
Am liebsten esse ich Albondigas de Prasa. Das ist mit Lauch vermengtes Hackfleisch. Für mich sind generell alle gefüllten Speisen der Hammer: Aubergine mit Reis, Zwiebeln, Korinthen und Pinienkerne schmecken auch sensationell. Und alles, was meine Mutter kocht, natürlich. Wie bei den Juden ist es auch bei uns: Wenn wir kochen, erinnern wir uns an die Toten. In diesem Sinne ist Kochen und Essen quasi eine Mizwa.

Das Gespräch führten Udi Shayshon und Philipp Peyman Engel.

Talin Bahcivanoglu ist Ethnologin und lebt in Berlin.

Mehr Informationen:
www.bet-debora.net/activities/bet-debora-berlin/page/2/

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024