Redezeit

»Wir alle haben einen Migrationshintergrund«

Frau Drimmer, in Ihrer neuen Ausstellung »Puzzle Teile« beschäftigen Sie sich mit der Migration von Äthiopiern nach Israel und Deutschland. Was genau erwartet die Besucher der Schau?
Zuallererst dokumentarische Arbeiten. Es gibt zum Beispiel Interviews mit einem Äthiopier aus Berlin und einer äthiopischen Jüdin aus Israel. Darin sprechen sie jeweils über ihre Migrationsgeschichte und die Erfahrungen im jeweils neuen Land. Da ich Künstlerin bin, bekommen die Besucher aber auch zeitgenössische Arbeiten zu sehen, die sich in abstrakterer Art und Weise mit Migrationserfahrungen beschäftigen.

Inwieweit ändert sich das Leben der Äthiopier durch die Migration?
Das macht die Ausstellung hoffentlich deutlich. Ich schreibe aber niemandem vor, was er zu denken hat. Schlussfolgerungen aus den einzelnen Arbeiten der Schau kann jeder gerne selbst ziehen. Was ich sagen kann, ist Folgendes: Es ist schon ein großer Unterschied, wenn Äthiopier wie die Beta Israel in ein Land ziehen, von dem sie glauben, dort hinzugehören, oder eben nach Deutschland.

Welche Unterschiede sind das?
In Israel gibt es große gesellschaftliche Bestrebungen, die Beta Israel zu unterstützen. Man hilft ihnen enorm bei der Integration. Auch wenn ich nicht zu Pauschalisierungen neige, macht es sich in Deutschland doch bemerkbar, dass man sich trotz der großen Zahl an Zuwanderer hierzulande nach wie vor keineswegs als Einwanderungsland versteht.

Inwiefern ist Migration für Sie eine Metapher für die Lebenswirklichkeit des modernen Menschen im 21. Jahrhundert?
Das Thema ist mir sehr wichtig. In gewisser Weise haben wir ja fast alle einen Migrationshintergrund: Selbst wenn wir nur von einem Dorf in eine große Stadt ziehen, ist das bereits eine Migrationserfahrung. Wie geht eine Gesellschaft mit Migration um? Wie ändern sich die Migranten durch die neue Kultur? Und nicht zuletzt: Wie verändert sich eine Gesellschaft durch die Zuwanderer? Das sind meines Erachtens die Fragen unserer Zeit – und die sollte sich jeder Einzelne stellen.

Was verbindet Sie persönlich mit dem Thema Migration?
Ich bin Kind polnischer Eltern, die die Schoa überlebt haben und gleich nach dem Krieg nach Berlin gekommen sind. Insofern weiß ich, wie es ist, als Minorität in einem fremden Land zu leben. Und auch die typischen Reaktionen von Migranten auf die Abwanderung sind mir nicht unbekannt: Das reicht vom So-Sein-Wollen wie die anderen bis hin zur starken Rückbesinnung auf die eigene Herkunft.

Das Gespräch mit der Künstlerin führte Philipp Peyman Engel.

Norma Drimmer lebt und arbeitet in Berlin und Tel Aviv. Seit 2001 ist sie mit ihren Installationen aus Fotocollagen, Videos und Texten in Einzel- und Gruppenausstellungen weltweit vertreten. Von 1986 bis 2001 war Norma Drimmer im Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und gründete dort das Schulwesen. Als Kulturdezernentin und stellvertretende Vorsitzende war sie in nationalen und internationalen Gremien tätig.

www.galerie.listros.de/en/exhibitions/jigsaw-pieces

Doku

Über eine weitreichende Unwahrheit - Wenn sich jemand als Schoa-Überlebender ausgibt

»W. - was von der Lüge bleibt« ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm, der sich der Lebensgeschichte eines Mannes annähert, der nach Misshandlungen als Kind die Identität eines Schoah-Überlebenden annahm

von Silvia Bahl  16.01.2025

Kino

»Wie eine Art Heimkehr«

Schauspielerin Jennifer Grey über den Film »A Real Pain« und Dreharbeiten in Polen

von Patrick Heidmann  16.01.2025

Nachruf

Der Soziologe und das »Gedächtnistheater«

Eine persönliche Erinnerung an Y. Michal Bodemann, der sich unter anderem mit Erinnerungspolitik in Deutschland beschäftigte

von Janine Cunea  16.01.2025

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. bis zum 27. Januar

 16.01.2025

Freiburg

Kurde aus Syrien eröffnet israelisches Restaurant

Der Besitzer wird schon länger bedroht. Er lässt sich jedoch nicht abschrecken

von Christian Böhmer  16.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

London

Autor Neil Gaiman weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im »New York Magazine« werfen mehrere Frauen dem britischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor entsprechende Taten vor. Nun äußert sich der 64-Jährige

 15.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  15.01.2025