»Die Synagoge«

Wie die Wüste, so das Land

Heißer Sand: Siedlung im Negev Foto: Marco Limberg

Die Wüste lebt: In seinem neuen Roman Die Synagoge nimmt Chaim Noll das Leben in der vermeintlich lebensfeindlichen Gegend in den Blick. Er steckt die Grenzen einer Kleinstadtgemeinschaft ab und ergründet, was diese zusammen hält. In einem israelischen Wüstenstädtchen, geprägt durch einen leisen Streit um Laissez-faire und jüdische Rechtgläubigkeit, ereignet sich Skandalöses.

Ein Täter verbrennt in der Synagoge – Symbol des Zwistes im Ort – eine Torarolle. Eine unfassbare Schändung, die im Verhältnis der Bewohner untereinander unerwartete Wirkung entfaltet. Der Konflikt in der Gemeinschaft und damit Nolls Betrachtungen kreisen um das Wesen von Religion und setzen somit das Verhältnis des Menschen zu Glaube, Liebe, Hoffnung auf die Agenda.

landschaft Der Negev macht territorial rund 60 Prozent Israels aus, doch nur ein Zehntel der Bevölkerung lebt in der Wüstenregion. »Diese Landschaft, so still und selbstversunken sie ist«, schreibt Noll einem fremden Reisenden in den Bewusstseinsstrom, »hat viel Schrecken gesehen und Sterben, damals wie heute. Und viel Durchhalten, Überleben. Beginnen. Wunderbares Auferstehen.«

David Ben Gurion sah in der Wüste ein Medium für die jüdische Renaissance. Im Negev lebte der Staatsgründer viele Jahre. Hier ist er begraben, am Rande des Städtchens Midreschet Ben-Gurion, zwischen Beer Sheva und Mitzpe Ramon nahe dem Kibbuz Sde Boker. Hier gibt es ein College und Einrichtungen für die Solar- sowie Wüstenforschung. Und hier fühlt Noll der israelischen Gesellschaft im Kleinen nach. Was wirkt sich bei allen Unterschieden gemeinschaftsstiftend aus? Welche zeitlose, spirituell-religiöse und naturverbundene Faszination geht von dieser Wüste aus, in der Abraham sein Exil fand und Menschen seit Jahrtausenden leben?

Auch Noll selbst ist in der Wüste angekommen: Der gebürtige Ostberliner machte 1995 Alija und hat in Midreschet Ben-Gurion, dem Schauplatz des Buchs, seine Heimat gefunden. Man kann den aktuellen Roman als Weiterführung seiner letzten Veröffentlichung lesen. In dem Geschichtenband Kolja (2012) sammelte er israelische Begegnungen und Bewegungen als Beschreibungen menschlicher Schicksale und Verhältnisse. Dort steht: »Es hat keinen Sinn, eine Geschichte zu erzählen, die man nicht selbst erlebt hat oder wenigstens erlebt haben könnte.«

menschen Das kann auch für Die Synagoge gelten. Ob Noll hier ein Gespinst aus wahren Begegnungen und wahrhaftigen Fiktionen vorlegt, ob Biografie oder Erfindung überwiegt, ist nicht wichtig zu wissen, um den Roman mit Gewinn zu lesen. Noll punktet einmal mehr mit genauen Beschreibungen in lapidar-präziser Sprache und einem Gespür für Menschen und soziale Situationen, die er ohne eigene Bewertung vor dem Leser ausbreitet, auf dass sich dieser selbst ein Urteil bildet.

Schon der Start dieser Wüstensafari ist besonders: Zur Ein- wie Hinführung begleitet man einen Fremden auf seiner Reise von Jerusalem aus und kommt mit dessen erwartungsvoller Neugier bei denen an, die in der Wüste wohnen: »Allein das Wissen um dieses Auf und Ab gibt Hoffnung. Der Anblick der verbrannten, verödeten Landschaft, die schwanger ist mit neuem Leben.«

terror Erzählt wird vor der Folie der zweiten Intifada, die im September 2000 begann. Geradezu nüchtern wird die Handlung vor Ort von einer Aufzählung von Attentaten auf israelische Einrichtungen begleitet. Zwischen Hinnehmen dessen, was man nicht ändern kann, ohne sich im Terror einzurichten, und der Angst um Kinder und Verwandte in besonders gefährdeten Gebieten changieren die Seelenbewegungen der Figuren. »Sollten sie sich Israel als eine Art Hölle vorstellen, wenn es ihnen Spaß macht«, reagiert ein Protagonist wütend auf ignorante Anrufe und Ratschläge aus Europa.

Chaim Noll gelingt auf diese Weise ein vielschichtiges Bild auf eine vielschichtige Gesellschaft. Er bringt diverse Erfahrungs- und Erinnerungsräume miteinander in Beziehung, was erhellende Perspektivwechsel ermöglicht. Historische Exkurse und religionsgeschichtliche Stippvisiten reichern diesen beispielhaften Grundkonflikt um das Individuum in der Gemeinschaft an. Mit ganz leichten Anklängen ans Märchenhafte entpuppt sich diese erstaunliche Wüstengeschichte trotz des ernstem Themas als seltsam-federleichte Lektüre.

Chaim Noll: »Die Synagoge«. Verbrecher Verlag, Berlin 2014, 448 S., 29 €

Andrea Kiewel

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