Meinung

Widerstandskraft durch Freude?

Viola Roggenkamp Foto: JG Hamburg

Meinung

Widerstandskraft durch Freude?

Unsere Autorin hat den Spielfim »Der Passfälscher« gesehen – und ist schockiert

von Viola Roggenkamp  19.10.2022 15:12 Uhr

Man hat genug von uns. Man mag die Juden nicht. Die Juden als »passive Opfer«. So werden neuerdings die berühmten sechs Millionen genannt. Haben sich einfach vergasen lassen. Sind dummerweise durch Arbeit zu Tode gekommen. Konnten nicht viele überleben? Ging doch. Mit ein bisschen Chuzpe und Lebensfreude. So macht es uns der junge Cioma vor in Maggie Perens Spielfilm Der Passfälscher.

Er hat kaum etwas gemeinsam mit dem Berliner Juden Cioma Schönhaus, Barmizwajunge 1935, sieben Jahre später getrieben von Lebenshunger und panischer Angst im täglich und nächtlich regierenden Antisemitismus der Reichshauptstadt 1942/43. Zum Bahnhof gebracht Eltern und Großmutter mit 20 Kilo Gepäck, in den Viehwaggon gedrängt, geschubst, gestoßen, in einen Zug ins Ungewisse, ins befürchtete Grauen. Den Sohn Cioma konnte man noch brauchen in der Kriegsindustrie. Er  fälschte Pässe für andere Juden, und endlich für sich selbst; es gelang ihm durchzukommen in die Schweiz. 

ZEITGEIST Der Spielfilm-Jude, verkündet die Werbetrommel, lasse sich »weder seine Lebensfreude nehmen noch von irgendjemanden einschüchtern – schon gar nicht von den Nazis«. Ausrufezeichen. Allein schon die dreiste Sprache macht klar, kein Film für uns Juden, wir könnten mit den Schultern zucken und uns abwenden, bediente der Film nicht genau das, was der Zeitgeist will.

Schulklassen, weiß Drehbuchautorin und Regisseurin Peren zu berichten, seien begeistert von ihrem Passfälscher Cioma. Kein besonders jüdischer Jude, eher überhaupt nicht jüdisch und vor allem kein Opfer.

Opfer sind jetzt mal andere. Opfer sind jetzt Opfer von Juden, wie unlängst der Weltöffentlichkeit präsentiert auf der documenta.

FILMKRITIK Landauf, landab ist die deutsche Filmkritik begeistert vom »Passfälscher«: Spaß, Spannung, doch am Ende war das alles für den Juden gar nicht so schlimm. Und Deutsche gibt es auf der Leinwand zu sehen, rührend gutgläubig, relativ harmlos, habgierig, aber wieder doch nicht gar so schlimm, und sogar mutig, wie der Mann, für den Cioma Pässe fälscht und der ihn dafür mit Lebensmittelkarten versorgt.

Dieser Mann darf vom Kinopublikum erlebt werden als ein guter deutscher Christ: Franz Kaufmann. Geborener Jude. Getauft aus Überzeugung, dass es für Juden so besser sei. Diese kleine »semitische Eintrübung« wird zwar auf der Website des Verleihs erwähnt, aber der Film selbst verbirgt sie vor seinen Zuschauern.

Es gibt überhaupt keine Jüdischkeit in diesem deutschen Spielfilm. Nicht szenisch, nicht dialogisch, nicht in der Darstellung. Schabbeskerzen auf dem Tisch der elterlichen Wohnung? Cioma in Gedanken an seine Großmutter, wie er mit ihr Jiddisch spricht? Cioma mit Kippa im Gebet für die deportierten Eltern? Aber nein! Klischee! Folklore! Gerade das wolle man endlich nicht mehr sehen müssen, rief nahezu einhellig das Publikum beim Preview im Hamburger Zeise-Kino. Bildungsbürgertum, zahlreich vertreten Frauen und Männer der Pädagogik.

FUNDUS Die Regisseurin geht noch weiter. Für sie gehört zu alledem noch die große Nase zum »Bild des Juden, das die Nationalsozialisten so erfolgreich in unsere Köpfe gehämmert haben«. Auch in ihren Kopf? Doch da der Passfälscher der Maggie Peren wegen der zugrundeliegenden autobiografischen Niederschrift des Berliner Juden Samson Schönhaus, hebräisch Schimschon, genannt Cioma, ab und an ein Jude sein muss, heftet sie ihm das aus dem Nazi-Fundus bereitliegende Requisit zur Kenntlichmachung aller Juden an seinen Mantel: den gelben Stern. Sonst könnte man, sonst würde man, sonst dürfte man in ihrem Film vergessen, dass der Passfälscher ein Jude war.

Einen Film über »Rassismus und Ausgrenzung« habe sie gemacht, sagt Peren. Antisemitismus ist bei ihr eine Untergruppe von Rassismus, und auch hierzu applaudierte der Zeitgeist im Hamburger Zeise-Kino. Sie habe von dieser »grausamen Zeit« auf eine »ganz neue Art und Weise« erzählt, raus aus »der Traumatisierungsschleife«, aus Sicht »eines jungen Mannes«, der sich gegen die Nazis stelle und trotz allem Schrecken »mit einer großen Freude am Leben seinen Alltag im Dritten Reich« bestreite. Vom Plakat springt uns dieser Held entgegen: Seht her! Widerstandskraft durch Freude.

»Wisst ihr, was ich meine?«, rief die Regisseurin in den Saal. »So schön! Ein jüdischer Mensch, der anderen das Leben retten konnte!« Man jubelte ihr zu.

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