Oper

Wenn Verdi Humor hätte

Meschugge, paranoid und unendlich liebenswert: Wenn Verdi »Avoda Aravit« gesehen hätte, würde sein »Nabucco« viel mehr Humor haben. Foto: Thinkstock

Die letzte Staffel von Avoda Aravit, oder wie es auf Deutsch hübsch heißen würde: Arabische Geschäfte, hat in den vergangenen Jahren bei den israelischen Film- und Fernseh-Preisverleihungen kräftig abgesahnt. Es gab Auszeichnungen in den Sparten beste Komödie, bester Hauptdarsteller, beste Hauptdarstellerin, bester Regisseur und vor allem: bestes Drehbuch!

Avoda Aravit läuft im israelischen Fernsehen nach wie vor zur Hauptsendezeit, und obwohl Themen mit arabischem Migrationshintergrund bei den Israelis in der Regel als idealer Stimmungskiller gelten, hat diese Serie eine Riesenfangemeinde. Nur an mir ist die Serie bisher vorbeigegangen. Eher zufällig ist mir nun eine DVD der Serie in die Hände gefallen. »Das musst du sehen, Mama!«, sagen meine Söhne. Dit wolln wa doch mal sehen.

Es dauert eine Weile, bis ich die Untertitel gefunden habe. Die Serie scheint nicht für den Export konzipiert. Wer weder Arabisch noch Hebräisch spricht, ist selbst schuld! Endlich finde ich auch lateinische Schrift, los geht’s.

identitätskrise Die Darsteller sprechen rasend schnell Hebräisch und wechseln genauso schnell ins Arabische, rudimentäre Untertitel hecheln hinterher. Mir geht’s nicht anders. Ich nehme einen doppelten Espresso, das kann ja heiter werden. Die Grenzen zwischen Gut und Böse werden in halsbrecherischem Tempo überschritten, Freund und Feind wechseln so schnell die Seiten, dass man glauben könnte, man wäre auf die Fast-forward-Taste gefallen. Nebenbei kann ich das nicht erledigen. Ich setze meine Brille auf, schließe mich ein und katapultiere mich in einer Nacht durch die ersten sechs Folgen.

Amjad, der Hauptdarsteller, ist Journalist, ein gutmütiger Mann mit einer schönen, humorvollen, vor allem geduldigen Ehefrau und einer netten Tochter, mit denen er im Hause seiner nicht unanstrengenden Eltern lebt. Was er aber vor allem hat, ist eine Identitätskrise von der Größe des Ozonlochs. Er ist Israeli, Muslim, Araber. Oder israelischer Palästinenser? Oder muslimischer Israeli? Oder …

Am liebsten allerdings wäre er israelischer, jüdischer als seine gesamte Umgebung. Dann wäre alles gut, dann würde er Ruhe geben, dann wäre Frieden in und um ihn. Diese Vision teilen nicht alle, wie man sich vorstellen kann. Am wenigsten seine Familie.

Amjad träumt von einem Auto, das ihn nicht gleich als Araber identifiziert. Von einem Pessachfest, bei dem Muslime die Vorbeter sind. Von einem jüdischen Kindergarten für seine Tochter und dergleichen mehr. Er bittet seinen jüdischen Arbeitskollegen und Freund, den Fotografen Meir, um Hilfe. Meir, nicht gerade die größte Leuchte, unterstützt ihn nun bei dem Versuch, ein perfekter Israeli zu werden. Die beiden bilden ein schlagkräftiges Duo, dem kein Fettnäpfchen zu klein ist, um nicht hineinzutreten.

Juden Das ist grandios! Hier wird nicht einfach nur mit allen erdenklichen Vorurteilen, Klischees und Feindbildern jongliert. Amjad versucht, jüdischer zu sein als die Juden. Er hasst sein Gegenüber nicht, nein, er verehrt es. Amjad studiert die Seele seiner Juden, um ganz so zu werden wie sie. Sein arabisches Inneres, seine arabische Umgebung und Familie werden schonungslos mitgerissen. Genialer Schachzug. Mir ist klar, warum diese Serie, die das nicht unkomplizierte Verhältnis zwischen Israelis und Arabern zum Thema hat, Kult geworden ist.

Endlich begreife ich durch Amjad den komplexen und filmreifen Alltag zwischen Israelis und Palästinensern, so wie ich erst durch Mr. Bean England und James Bond verstanden habe.

Jeden Morgen, wenn ich zu meinen Opernproben komme, erzähle ich atemlos und übernächtigt von den abends gesehenen Folgen. Wir kämpfen uns gerade durch Verdis Nabucco, die jüdische Gefangenschaft in Babylon. Ismael, der Neffe des Königs von Jerusalem, und Fenena, die Tochter Nebukadnezars, sind ein heimliches Liebespaar. Konsequenterweise hat Verdi auf ein Liebesduett zwischen den beiden verzichtet. Die Dramaturgin bewundert Verdi für seine eindeutige Haltung, aber die Sänger hätten lieber ein saftiges Liebesduett …

Um die Kompliziertheit der Lage zu verdeutlichen, und warum es nicht einfach ist für Israelis und Palästinenser, im Duett zu singen, erzähle ich ihnen von meinem nächtlichen Kontrastprogramm. Der koreanische Tenor und die russische Sängerin hören mir brav und aufmerksam zu, ohne wirklich zu begreifen, was genau das mit ihren Arien zu tun haben könnte.

Araber »Was ist der wundeste, empfindlichste Punkt eines Mannes? Nein – nicht, was ihr denkt! Sein Auto natürlich. Die Frage ist: Wie zeige ich kraft meines Autos sofort jedem, wer ich bin? Für Amjad muss das ein Volvo sein. Ein Volvo ist assimiliert. Amjad fährt Toyota. Ein Toyota aber ist, das bestätigt ihm Meir, ein durch und durch arabischer Wagen. Und das ist genau, was Amjad nicht will: Araber sein. Oder als solcher erkannt werden.

Oder das Thema duschen! Amjads Dusche im palästinensischen Teil der Stadt funktioniert natürlich lange nicht so gut wie die Dusche seines Freundes Meir im israelischen Sektor. Amjad würde alles tun, um duschen zu können wie ein Jude. Der Jude und die Duschen – klingelt es?«

Die Sänger schauen mich fassungslos an. »Versteht ihr denn nicht? Wenn es einen gemeinsamen gleichwertigen Staat gäbe, würde man dort auch gemeinsam singen. Dem ist aber nicht so! Im israelischen Teil gibt es schicke Autos, funktionierende Duschen etc. … Solange das nicht für beide Teile gilt, gibt es auch keine Duette.« – »Originelle Erklärung«, meint die Dramaturgin spitz, scheint aber alles andere als überzeugt.

»Schau, meine Liebe«, setze ich nach, »nicht einmal vor Duschköpfen wird haltgemacht in dieser Serie. Gott sei Dank! Erst wenn seine Ehefrau die hochgerüstete Dusche nicht mehr als verdruckste Assimilation empfindet, sondern als Glück, als Verwirklichung eines glücklichen Lebens im Staat Israel – erst dann darf sich Amjad freuen: Ihm ist nicht nur die Metamorphose zum Israeli geglückt, Amjad zeigt, wie es wäre, wenn alle so duschen dürften, in einem gemeinsamen Staat unter der Dusche zusammen singen könnten …« »Aber in Babylon gab es noch keine Duschen, auch keinen Volvo«, wirft mein koreanischer Startenor ein, er ist ein helles Köpfchen.

ironisch »Natürlich, lieber Kim«, sage ich, »natürlich, aber der Blick ins heutige Israel wird uns das babylonische Opernexil verständlicher machen, glaub mir. Amjad bekämpft nicht seinen Feind, er liebt ihn, will sein wie er! Das nenn ich Assimilation! Damit hebelt er die Unterschiede nicht aus, er verdreht sie. Sie werden auf diese Weise sogar noch deutlicher, aber es bleibt charmant, witzig und für den Zuschauer verdaulich. Es ist ein liebender und ironischer Blick, und das ist der Schlüssel. Ob Verdi mit seinem Nabucco auch schon so weit war oder ob es ihm vor allem um die Musik ging, weiß ich nicht.«

Von nun an erwarten mich meine Sänger täglich am Eingang und fiebern den neuesten Entwicklungen entgegen: Wie geht es unserem Anpassungshelden? Ist er schon der König von Jerusalem?

In Nabucco steht das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit im Mittelpunkt. Heutzutage möchten die Palästinenser ein freies Leben in Palästina führen. Blutvergießen ist an der Tagesordnung wie vor Tausenden von Jahren. Und da kommt so eine Serie und wirbelt alles durcheinander: Alle sind paranoid, alle sind meschugge, jeder hat recht und unrecht und ist somit unendlich liebenswert. Keine Seite wird verschont. Intellektuelle, linke, schnöselige Israelis bekommen genauso ihr Fett weg wie Autos klauende Araber. Lieb gewordene Klischees werden vorgeführt und im selben Augenblick zerschlagen. Gnadenloser Humor, politisch unkorrekt, um den immensen Schwierigkeiten, die ein Zusammenleben in Palästina mit sich bringt, Paroli zu bieten, zu trotzen.

Die hebräische Presse jubelt, die arabische spricht von Nestbeschmutzung. All das spielt keine Rolle, sage ich, denn mit Avoda Aravit ist eine arabische Familie im israelischen Wohnzimmer angekommen! »Begreift ihr«, sage ich zu meinen Opernsängern, »es ist, als würden Sturm der Liebe und GZSZ komplett türkisch besetzt!«

Amtsarzt? Meine Erklärungen hinken, aber die Sänger nicken. Sie wollen beim Bundespräsidenten singen, egal zu welchem Anlass. Die Dramaturgin ist besorgt, hat die Intendantin informiert. Die Intendantin bittet mich in ihr Büro, fragt, ob sie den Amtsarzt benachrichtigen soll, und was in mich gefahren sei.

Ich versuche, ihr zu erklären, dass ich mich über die Diskussionen freue, dass sie zeigen, wie aktuell Oper doch sein kann, dass alles besser sei, als zu schweigen: »Kommt das Gespräch auch in unseren Breitengraden auf das diffizile Verhältnis zwischen Israelis und Arabern, ist jede Stimmung dahin. Bestenfalls sind alle betroffen. Oft wird diskutiert, nie gelacht. Natürlich, verständlich. 20 Prozent aller Israelis sind Araber. Sie leben oft in erbärmlichen Verhältnissen. Die anderen Israelis halten sie für ein unberechenbares Risiko. Araber halten die Israelis für brutale Besatzer …«

Ich habe vergessen, Luft zu holen, die Intendantin hat ebenfalls Schnappatmung. Bevor ich das Büro verlasse, muss ich unterschreiben, dass ich ab sofort weniger explosives Studienmaterial für die Nabucco-Proben benutze.

Die Sänger und ich sind auf Serienentzug. Depression macht sich breit. Missmutig haben wir die Proben wiederaufgenommen. Ich tröste sie und mich damit, dass die Serie bestimmt in Kürze auch in Deutschland ausgestrahlt wird.

Lachen »Weißt du, wenn hätte Verdi Avoda Aravit gesehen, sein Nabucco heute wäre völlig anderer!«, sagt Kim in seinem speziellen Deutsch, dann geht er zum Einsingen. Und ich denke, er hat absolut recht, wenn Verdi Avoda Aravit gesehen hätte, hätte sein Nabucco viel mehr Humor.

Und da wären wir wieder einmal bei meinem Lieblingsthema – dem Humor und dem Lachen, vor allem über sich selbst, gerade wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt. Geht denn das? Darf man das? Ist es erlaubt? »Ja, was denn sonst?«, möchte ich brüllen. »Man muss sogar!«

Vielleicht führt Avoda Aravit nicht zur großen Liebe zwischen Juden und Muslimen, aber zu einem entspannteren, gleichberechtigteren Verhältnis allemal.

Lieber Gott, mach, dass auch hier solche Serien produziert werden. Mach, dass ein Türke oder ein Bosnier die Helden sind. Schick den Öffentlich-Rechtlichen eine Staffel Avoda Aravit zusammen mit den herausragenden Quoten, vielleicht begreifen sie dann endlich?

Der Text ist ein Auszug aus Adriana Altaras’ neuem Buch, das am 9. März erscheint. »Das Meer und ich waren im besten Alter«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 224 S., 8,99 €

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