Sehen!

Weltgeschichte hat ihren Preis

One-Man-Soundtrack der Nachkriegszeit: Rocklegende Bob Dylan Foto: imago

Bob Dylan zu sehen, ist ein bisschen wie in den Spiegel zu schauen. Kaum ein Musiker verkörpert die Wandlungen der Welt so exzessiv wie er. 1941 in Duluth, Minnesota, geboren, hat er in den schmuddeligen Cafés des Greenwich Village begonnen und wurde zur Protestikone, als die USA die Welt mit Kuba und Vietnam neu ordnen wollten.

Seither ist Bob Dylan ein Meister der dauernden Neuerfindung. Der Sohn jüdischer Immigranten konvertierte zum Erweckungschristen, und spätestens mit seinem Hit »Like a Rolling Stone« verwandelte sich der Protest-Song-Schreiber zur Rock-Ikone.

Politisch Damals, gleich nach dem Beginn des Vietnam-Krieges und kurz nach dem Attentat auf John F. Kennedy, reagierte er auf die neue Ordnung der Welt und vereinte Elektronik und Folk, Songwriting und Rockmusik. Er verband in seiner Musik alle Stimmungen, die in der Luft lagen – und wurde dafür zunächst ausgebuht.

Heute wissen seine Fans, dass Dylans Wandlungen die nötigen Perspektivenverschiebungen unseres Blickes auf die Welt widerspiegeln. Gekonnt balanciert er zwischen privatem Rückzug, innerem Mikrokosmos und Weltpolitik. Das Politische wird bei ihm privat, das Private politisch.

Das macht seine Lyrik so groß und gleichzeitig so intim. Aus diesem Vexierspiel bestehen Songs wie »Knockin’ On Heaven’s Door«, »Mr. Tambourine Man« und »Girl from the North Country«. Selbst die kapitalisierte Gegenwart hat der Ex-Protestler inzwischen in den Sack gesteckt, als er seinen Hit »The Times they are Changin’« für den Werbespot einer Bank freigab.

Soundtrack Wenn Dylan nun, nach seinem 36. Studioalbum, seine »Never Ending Tour« in Berlin, Braunschweig, Saarbrücken, Hamburg, Düsseldorf und Regensburg fortsetzt, sind das mehr als nur Rock-Konzerte. Dylan, der Mann mit Mundharmonika und Klampfe, besingt den Soundtrack einer sich stets ändernden Welt. »The Times they are Changin’« ist das eigentliche Motto unserer Moderne. Und Dylan lebt es – bis heute.

Geändert hat sich auch der Preis, den wir für diese nostalgische Reise zu zahlen bereit sind. Dass Dylan auch im Gewandhaus in Leipzig auftritt, beweist, dass er längst ein Klassiker ist. Und dafür nimmt er stolze 177,15 Euro Eintritt. Ob das Geld am Ende »Blowin’ in the Wind« ist? Weltgeschichte hat eben ihren Preis!

www.bobdylan.com

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025