Paul Celan

»Vor allem ist er Flüchtling«

Vor 50 Jahren starb der Lyriker in Paris

von Andrea Krogmann  20.04.2020 08:30 Uhr

Paul Celan (1920–1970). Das undatierte Porträt zeigt den Lyriker in den 60er-Jahren. Foto: dpa

Vor 50 Jahren starb der Lyriker in Paris

von Andrea Krogmann  20.04.2020 08:30 Uhr

Am 23. November wäre er 100 Jahre alt geworden. Doch Paul Celan beendete vor 50 Jahren, vermutlich am 20. April 1970, in Paris sein Leben.

Mit Sätzen wie »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« wurde er zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Dichter nach 1945. Sein Gedicht »Todesfuge« gilt als eine der bedeutendsten Auseinandersetzung mit der Schoa.

Geboren wurde Celan unter dem Namen Paul Antschel als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen, heute ukrainischen Czernowitz. Nach einem Jahr Medizinstudium in Paris kehrte er 1939 nach Rumänien zurück und studierte dort Romanistik.

Eltern Zunächst ins örtliche Ghetto gezwungen, wurden seine Eltern 1942 in ein Zwangsarbeitslager deportiert. Der Vater starb wenige Monate später an Typhus, die Mutter wurde von einem SS-Mann ermordet.

Sein Gedicht »Todesfuge« gilt als eine der bedeutendsten Auseinandersetzung mit der Schoa.

Sohn Paul, der seinen Namen 1947 in Celan änderte, überlebte zwei Jahre Zwangsarbeit in verschiedenen rumänischen Lagern. Über Ungarn floh er nach Wien und zog weiter nach Paris, seiner Heimat bis zu seinem Tod.

Er setzte sein Studium fort und schlug sich zunächst mit Übersetzungen, Dolmetschen und Sprachunterricht durch. Einmal reiste er nach Israel. »Sag, dass es Jerusalem gibt«, schreibt er, seinem Volk verbunden.

Überlebensschuld Nicht nur sein Überlebensschuld-Trauma prägte seine Dichtung, auch die Kulturen der verschiedenen Stationen seines Lebens vereinte er auf einzigartige Weise: deutsch, jüdisch, ukrainisch, französisch, rumänisch, österreichisch.

Das Flüchtling-Sein sei das Wesentliche an Celans Persönlichkeit, betonte der ukrainische Schriftsteller Andrij Ljubka Celan im Rahmen des internationalen Kulturprojekts »Paul Celan–  100. Meridian des großen Meisters der deutschen Sprache: Czernowitz-Paris-Ewigkeit«.

Celan sei »auch Dichter, Jude, Philosoph, Bukowiner, Übersetzer und eine Person 20. Jahrhunderts. Aber vor allem ist er Flüchtling«, geflohen nach Paris, doch mit der deutschen Sprache im Gepäck.

Werk Diese Sprache beherrschte er eindrücklich. Sieben Bände, insgesamt 3380 Seiten, füllen seine Gedichte, Prosawerke, Reden und Übersetzungen gemeinsam mit dem Frühwerk und den Gedichten aus dem Nachlass im Taschenbuch.

»Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts«, so beginnt das wohl bekannteste seiner Werke, die »Todesfuge«, entstanden drei Jahre nach Kriegsende (1948).

Anders als im Rest der Welt wurde sie im Nachkriegsdeutschland in der Celan-Rezeption abwehrend ausgeklammert, sagt der Literaturwissenschaftler Thomas Sparr, der zum Celan-Jubiläumsjahr 2020 eine »Biografie« des Gedichts verfasst hat.

Heute gehört die »Todesfuge« zum Pflichtprogramm für viele deutsche Schüler. Ausgelesen ist der berühmteste Celantext für Sparr damit noch lange noch nicht. Er sei weiterhin interpretationsbedürftig und verständnisöffnend.

Der Holocaustüberlebende suchte Anschluss an das Leben, das zunehmend durch seine psychische Erkrankung bestimmt war.

Der Lyriker Celan hatte auch unbekanntere Seiten. Zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Gisele Celan-Lestrange, erarbeitete er zwei bibliophile Editionen seiner Werke: Atemkristall (1965) und Schwarzmaut (1969).

Beziehungen Zahlreiche Liebesbriefe an seine Frau, aber auch an andere geliebte Frauen, offenbaren einen zärtlichen Celan. Auch die jüdische Mystik soll den Lyriker interessiert haben, obwohl er einem gütigen und allmächtigen Gott nach dem Holocaust keinen Glauben mehr schenken konnte.

Seine Auseinandersetzung mit dem Judentum blieb schwierig. Der Holocaustüberlebende suchte Anschluss an das Leben, das gleichzeitig zunehmend durch seine psychische Erkrankung bestimmt war. Mehrfach wurde er in psychiatrische Kliniken eingewiesen. Einmal soll er ihm Wahn versucht haben, seine Frau zu töten.

»Flaschenpost« Das Gedicht könne »eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiss nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht«, sagte er Jahre früher, in seiner Dankesrede für die Auszeichnung mit dem Bremer Literaturpreis (1958).

Unter nicht vollständig geklärten Umständen nahm er sich vermutlich am 20. April 1970 das Leben. Sein Leichnam wurde später flussabwärts von Paris aus der Seine geborgen.

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