Hip-Hop

»Vibe hat mehr Kraft als Sprache«

»Ich bin ein einfacher Typ, der Rap liebt und gerne auftritt«: Ravid Plotnik (34) wurde in Petach Tikwa geboren. Foto: Flash90

Herr Plotnik, ist Ihr Auftritt an diesem Sonntag wirklich Ihr erstes Konzert in Berlin?
Es ist sogar mein erstes Konzert vor Nicht-Israelis! Verrückt, was?!

Und wie fühlt es sich an?
Sehr aufregend! Deutschland ist ein Königreich für Reggae und Dance-Hall-Musik. Ich höre die Musik von Gentleman und Seeed seit bestimmt 15 Jahren. Ich liebe sie. Ich hoffe, ich kann ein paar Konzerte sehen und in Klubs gehen.

Hat es für Sie auch eine historische Bedeutung, in Berlin aufzutreten? Ihre Großmutter ist Schoa-Überlebende.
Ich habe ihr noch nicht gesagt, dass ich in Deutschland auftrete – werde ich aber noch. Ich hoffe, sie wird stolz auf mich sein. Hier schließt sich ein Kreis, es ist ein Symbol für eine mutige Verbindung zwischen diesen zwei Ländern, eine Verbindung des Friedens, eine Verbindung des Loslassens der Vergangenheit und das Bauen an einer neuen Zukunft. Daran glaube ich!

Was macht israelischen Hip-Hop so besonders?
Ich glaube nicht, dass er so besonders ist. Er gibt uns die Möglichkeit, ein Bild zu malen, davon, wer wir sind und wie wir leben. Wissen Sie, meine absolute Lieblings-Hip-Hop-Band ist die französische Kombo Saïan Supa Crew. Ich habe mir deren Logo aufs Bein tätowiert, obwohl ich kein Wort verstehe von dem, was sie sagen. Aber den Vibe verstehe ich, das Bild, das sie so anmutig malen und das mich tief berührt, seitdem ich ein Teenager bin. Ich glaube, Vibe hat mehr Kraft, als die Sprache zu verstehen.

Israelische Medien bezeichnen Sie gern als Stimme Ihrer Generation, was Sie nicht mögen. 2019 haben Sie deshalb sogar Ihren Künstlernamen Nechi Nech aufgegeben. Was stört Sie so?
Ich mag keine Titel. Das ist zu groß für mich. Ich bin ein einfacher Typ, der Rap liebt und gern auftritt. Ich mache mein Ding, und es ist gut, wie es ist.

Sie sind in einer Zeit des »ewigen« Premiers Bibi und der Sozialproteste aufgewachsen. Hat das Eingang in Ihre Kunst gefunden?
Es hat mich als Israeli beeinflusst, und ich versuche, es durch meine Musik besser zu verstehen. In meinen Songs sage ich den Leuten nicht, was sie denken sollen, so bin ich nicht. Aber ich schreibe, was ich denke. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns vereint, nicht auf das, was uns trennt. Das zu kapieren, ist unser Job, als Juden und als Israelis. Und wir müssen das unter uns regeln, bevor wir uns größeren Dingen widmen können. Darüber will ich schreiben.

Zu Ihren Talenten gehört, das Große im Kleinen zu erzählen. Wie eine Frau sich fühlt, wie ein Vater. Sie haben ein sehr berührendes Lied über Ihre Mutter geschrieben, die gestorben ist, als Sie zwölf Jahre alt waren. Woran erkennen Sie, dass ein Song gut ist?
Meist zeige ich einen Satz oder Gedanken, den ich besonders gelungen finde, meiner Freundin oder meinem Produzenten. Und wenn die auch meinen, dass es gut ist, mache ich weiter. Schreiben ist ein anstrengender Job. Die ganze Zeit versuchst du, deine Gefühle zu verarbeiten, und dazu musst du mental wirklich ehrlich mit dir selbst sein. Manchmal will ich das gar nicht, weil es so ermüdend ist. Manchmal gefällt mir die Wahrheit auch nicht. Aber wenn ich eine ehrliche Reaktion bekomme, hat es sich gelohnt.

Fühlen Sie sich freier, nachdem Sie Ihren Namen geändert haben?
Alles, was ich tue, ist eine Art Therapie für mich. Ich glaube, dass es eine Frage der Energie ist, da bin ich hippiemäßig. Die Leute nennen mich jetzt bei dem Namen, den meine Mutter für mich ausgesucht hat. Ich glaube, das öffnet etwas in mir, ermöglicht mir, die größte und beste Version meiner selbst zu sein.

Was ist das größte Geschenk, das Ihre Mutter Ihnen gegeben hat?
Dankbar zu sein. Die größte Lehre daraus, dass ich keine Mutter habe, ist, dass ich dankbar bin, zwölf Jahre lang eine Mutter gehabt zu haben.

Aber zu akzeptieren, dass die gemeinsame Zeit alles war, ist besonders hart.
Das stimmt. Zu sagen, das war’s – aber ich bin dankbar dafür. Nicht nur, dass sie eine großartige Frau war, der ihre Familie alles bedeutet hat. Sie hat mich bedingungslose Liebe erfahren lassen.

Und was hat Ihr Vater Ihnen mitgegeben? Ich habe gelesen, dass er Sie früher nach Konzerten abgeholt hat …
Ja, das hat er. Mein Vater ist die Definition eines verrückten Israelis. Israelis sind schön und warmherzig und sehr laut und direkt. Mein Vater ist all das. Auch er hat mir gezeigt, dass die Familie das Wichtigste ist.

Und Ehud Banai, die israelische Musikerlegende, ist ein Ehren-Familienmitglied?
Ehud ist der Onkel, den ich nie hatte. Er ist mein Rabbi! Vor ein paar Jahren habe ich zu ihm gesagt: Ich bin dein Schüler, und du bist mein Lehrer. Und er meinte: Aber ich wollte nie Lehrer sein. Im Judentum gibt es diesen Satz: Wähle deinen eigenen Rabbi (Aseh Lecha Rav). Ich habe Ehud gesagt: Du bist mein Rabbi, ob du willst oder nicht. Er ist ein riesiges Vorbild für mich!

Warum genau?
Als Mensch und Musiker steht er für Einfachheit und Ehrlichkeit. Seine Musik kommt ohne Schminke aus, ohne Spezialeffekte. Er sagt: Das bin ich, das ist meine Musik, das sind meine Songs. Wenn du es magst, ist gut, wenn nicht, dann ist das auch okay.

Lassen Sie ihn manchmal auch Songs und Ideen hören?
Er würde sagen, okay, das ist nett. Er ist kein großer Kritiker. Anders als ich!

Sie haben sich Ihre Karriere hart erarbeitet, indem Sie sich Ziele setzen. Haben Sie eines für das Konzert in Berlin?
Hoffentlich habe ich die Möglichkeit, mehr Menschen und Herzen zu gewinnen. Vielleicht verstehen sie nicht alles, was ich sage, aber hoffentlich sagen sie hinterher: Der Kerl ist nicht schlecht!

Haben Sie auch Ziele für das neue Jahr?
Das ist sehr persönlich, aber ich habe seit sechs Monaten eine Freundin, die ich zutiefst liebe. Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass diese Beziehung funktioniert!

Masal tow! Und haben Sie auch eines für Israel?
Mein größtes Ziel als Israeli, in der Musik und im Leben, ist es, daran teilzuhaben, dass wir unsere Gegensätze überwinden. Wir müssen nicht immer einer Meinung sein, um miteinander auszukommen. Das größte Ziel für uns sollte sein, das zu verstehen.

Mit dem Musiker sprach Sophie Albers Ben Chamo. Ravid Plotnik tritt am 18. September bei den Kulturtagen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin auf.

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