Erinnerung

Versteckt in Bonn

Das Haus liegt im schmucken Gründerzeitviertel von Bonn. Hier in der Südstadt reihen sich die schmalen Altbauten mit ihren romantischen Vorgärten aneinander. An der Fassade eines Hauses in der Argelanderstraße hängt neben der Treppe zur Eingangstür eine historische Tafel: »Dr. Rolf Bayerwaltes. Rechtsanwalt. Sprechstunde nach Absprache.«

Was im Zweiten Weltkrieg hinter dieser Holztür geschah, darauf macht der evangelische Pfarrer Joachim Gerhardt aufmerksam, der in der Nähe seine Gemeinde hat: In dem Haus überlebten ein Jude und zwei Jüdinnen aus Köln die Schoa. Mehrere Jahre versteckte Katharina Bayerwaltes hier das Ehepaar Salomon und Henriette Jacoby sowie ihre erwachsene Tochter Hildegard Schott.

Die Familie hatte mehrere Helferinnen und Helfer: Josephine und Heinz Odenthal waren ihre Nachbarn in Köln und brachten die drei zunächst bei Sibylla Cronenberg unter, bevor sie zu Katharina Bayerwaltes kamen. Dafür, dass diese vier Nicht-Juden die Familie vor dem Naziterror gerettet haben, ehrte sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als »Gerechte unter den Völkern« - die höchste Auszeichnung des Staates Israel für Nicht-Juden.

Ausbeutung In Köln besaßen die Jacobys ein Kaufhaus. Auch vor diesem Geschäft machten die Nationalsozialisten nicht Halt, als sie sich unter dem Begriff der »Arisierung« Besitz von Juden unter den Nagel rissen. Bei den Jacobys war das 1939 der Fall, und die Familie blieb ohne Einkommen zurück. Die Jacobys waren nach Angaben von Yad Vashem zu dem Zeitpunkt bereits über 70 Jahre alt, Tochter Hildegard verwitwet.

1941/42 wurden tausende Jüdinnen und Juden in das Sammellager Müngersdorf gebracht, um von dort Richtung Osten deportiert zu werden. Ohne das Ehepaar Odenthal wäre das auch das Schicksal der Jacobys gewesen, wie Yad Vashem erklärt.

Die Odenthals waren eine katholische Familie, der Ehemann arbeitete als Lehrer. »Als damit begonnen wurde, seine jüdischen Nachbarn wegzubringen, entschied er sich zu handeln«, so die Gedenkstätte. Odenthal brachte die Familie zunächst zu seiner Verwandten Sibylla Cronenberg. Für ihr Umfeld wurde die Legende gestrickt, die Gäste seien ausgebombte Verwandte aus Köln.

Als Cronenberg 1943 in eine Klinik musste, nahm die damals 29 Jahre alte Katharina Bayerwaltes die Familie in ihrem Haus auf. Yad Vashem zufolge vermutete sie, dass sie jüdische Flüchtlinge beherbergte. Dass Bayerwaltes richtig lag, kam durch einen Zufall ans Licht und änderte nichts an ihrer Hilfsbereitschaft. Ihr Mann war derweil an der Front in Russland und wusste nicht, wer genau daheim zu Gast war.

Als Bonn Ende 1944 bombardiert wurde, entschied er sich, seine Frau mit der gemeinsamen Tochter in Sicherheit zu bringen. Die Jacobys blieben. Weil sich Bayerwaltes aber um ihre Gäste sorgte, kehrte sie im Februar 1945 zurück. Kurz danach wurde die Stadt befreit - Salomon und Henriette Jacoby und Hildegard Schott hatten den Nationalsozialismus überlebt.

Ehrung Die Odenthals, Sibylla Cronenberg und Katharina Bayerwaltes wurden im Jahr 2005 von Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« anerkannt. Auf dem weitläufigen, baumbestandenen Gelände der Gedenkstätte auf einem Jerusalemer Hügel stehen ihre Namen mit vielen anderen auf einer Gedenkwand. Mit Stand Januar 2021 hat Yad Vashem 27.921 Menschen aus vielen Ländern der Welt geehrt, die im Zweifel ihr Leben riskierten, um Juden zu verstecken, ihnen falsche Papiere zu beschaffen oder bei der Flucht zu helfen.

Yad Vashem weist darauf hin, dass »gleichgültige Zuschauer« in der NS-Zeit die Regel, Retter die Ausnahme gewesen seien. Dass es sie aber gab, zeige, dass »ein gewisses Maß an Entscheidungsfreiheit« bestanden habe. »Viele hatten nie vorgehabt, zu Rettern zu werden, und waren vollkommen unvorbereitet auf den Augenblick, in dem sie eine so weitreichende Entscheidung fällen mussten.« Gerade ihre Menschlichkeit sei es, die berühre und die als Vorbild dienen solle.

Die Jacobys und Hildegard Schott zogen Yad Vashem zufolge nach dem Krieg nach Bad Godesberg, das heute zu Bonn gehört. Nicht lange danach starb das Ehepaar, ihre Tochter aber blieb bis zu ihrem Tod in Kontakt mit ihren Retterinnen und Rettern.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Hollywood

Die »göttliche Miss M.«

Die Schauspielerin und Sängerin Bette Midler dreht mit 80 weiter auf

von Barbara Munker  28.11.2025

Literatur

»Wo es Worte gibt, ist Hoffnung«

Die israelische Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen über arabische Handwerker, jüdische Mütter und ihr jüngstes Buch

von Ayala Goldmann  28.11.2025

Projektion

Rachsüchtig?

Aus welchen Quellen sich die Idee »jüdischer Vergeltung« speist. Eine literarische Analyse

von Sebastian Schirrmeister  28.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  28.11.2025