Gaza-Krieg

Verhältnismäßig oder nicht?

Israelische Fallschirmjäger der Reserve bei der Ausbildung (Oktober 2023) Foto: Flash 90

Fast jeder Nahostexperte, der etwas auf sich hält, betont seit dem 7. Oktober, dass Israel zwar ein Recht auf Selbstverteidigung habe, sich bei seiner Militäroperation im Gazastreifen aber an das humanitäre Völkerrecht halten müsse. Doch auf welche Regeln wird da Bezug genommen?

Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN) gesteht jedem Staat im Falle eines »bewaffneten Angriffs« ein »naturgegebenes Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstvertei­digung« zu. Dies gilt so lange, bis der UN-Sicherheitsrat »die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat«.

Doch nicht jede Grenzverletzung berechtigt zu einem Gegenschlag. Ein Angriff muss schwerwiegend sein. Wie schwerwiegend, ist nicht genau definiert. Dennoch werten die meisten Völkerrechtler den Hamas-Angriff hier als ausreichend. Solche Maßnahmen müssen jedoch – auch hier ist das Völkerrecht klar – im Hinblick auf ihren Umfang und ihre Dauer verhältnismäßig sein.

Schranken im Selbstverteidigungsrecht

Seine Schranken findet das Selbstverteidigungsrecht auch in den vier Genfer Konventionen von 1949 und ihren Zusatzprotokollen. Diese regeln, was in bewaffneten Auseinandersetzungen erlaubt ist und was nicht. Es handelt sich dabei um zwischenstaatliche Verträge, die weltweit Gültigkeit haben.

Ziel der Konventionen ist der Schutz von Menschen in Kriegsgebieten, die nicht oder nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen. Dazu zählen neben Zivilisten auch Sanitäter, Verwundete und Kriegsgefangene. Neutrale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) sind für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen zuständig. Schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht stehen unter Strafe. Die verantwortlichen Personen müssen – auch das ist Teil der Konventionen – unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit gesucht, verurteilt oder ausgeliefert werden.

Doch was genau stellt ein Kriegsverbrechen im Sinne der Genfer Konventionen dar? Da wäre zuvörderst das Verbot von gezielten Angriffen auf zivile Ziele zu nennen. Allerdings ist nicht grundsätzlich verboten, dass Zivilisten zu Schaden kommen dürfen. Entscheidend ist, ob sie absichtlich ins Visier genommen werden.

Kriegsgefangene und Zivilisten dürfen zudem auch nicht als menschliche Schutzschilde benutzt werden. Menachem Rosensaft, Experte für internationales Recht, formuliert es so: »Wenn die Hamas die eigene Bevölkerung oder israelische Geiseln als Schutzschilde missbraucht, verstößt sie nicht nur gegen das humanitäre Völkerrecht. Sie macht zivile zu militärischen Zielen und entkräftet so das Argument, dass die israelische Armee (IDF) wahllos zivile Ziele bombardiere.«

Prüfung der Verhältnismäßigkeit

Allerdings, so Rosensaft, bedürfe es immer einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit. »Die IDF ergreift Vorsichtsmaßnahmen, indem sie beispielsweise Zivilisten vor bevorstehenden Bombardierungen warnt und zur Evakuierung auffordert. Und die IDF hat offensichtlich Beweise, dass die Hamas Krankenhäuser als Orte für ihre Operationen benutzt hat. Dies sind sicherlich starke Argumente. Am Ende werden sie aber gegen die Zahl der zivilen Opfer abgewogen werden.«

Über die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der von Israel eingesetzten Mittel wird heftig gestritten. Während in der arabischen Welt und auch in linken Kreisen im Westen von einem »Genozid«, also der vorsätzlichen Vernichtung von Zivilisten aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, die Rede ist, stellt sich für eine Mehrheit der Israelis die Situation ganz anders dar: Es ist die Hamas, die gezielt Juden ermordet hat und den Staat Israel vernichten will.

Für Rosensaft hat Israel gute juristische Argumente auf seiner Seite. »Die Hamas ist natürlich der Bösewicht in diesem Stück. Ob ihre Taten im Shifa-Krankenhaus aber für eine Anklage wegen Kriegsverbrechen ausreichen, muss man abwarten. Es wird bei der Bewertung nämlich durchaus ein Unterschied gemacht zwischen einem Ort, der zum Abschuss von Raketen genutzt wird, und einem vorübergehenden Schlafplatz von Terroristen.«

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Bremen

Seyla Benhabib erhält den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken

Die Jury würdigte Benhabib als »herausragende politische und philosophische Intellektuelle«

 15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025

Antisemitismusskandal

Bundespräsident trifft ausgeladenen Dirigenten Shani

Nach dem Eklat um eine Ausladung der Münchner Philharmoniker in Belgien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den künftigen israelischen Chefdirigenten Lahav Shani ins Schloss Bellevue eingeladen

von Anne Mertens  15.09.2025

Literatur

Ein Funke Hoffnung

Rafael Seligmann hält Deutschland derzeit nicht für den richtigen Ort einer Renaissance jüdischen Lebens. Trotzdem gibt er die Vision nicht auf. Ein Auszug aus dem neuen Buch unseres Autors

von Rafael Seligmann  15.09.2025

Los Angeles

»The Studio« räumt bei den Emmys 13-fach ab

Überraschende Sieger und politische Statements: Ausgerechnet eine jüdische Darstellerin ruft eine israelfeindliche Parole

von Christian Fahrenbach  15.09.2025

Freiburg im Breisgau

»Keine Schonzeit für Juden«: Neues Buch von Rafael Seligmann

Antisemitismus, der 7. Oktober 2023, ein Umzug von Tel Aviv nach München in den 1950er Jahren und ein bewegtes Leben: Der Historiker streift und vertieft in seinem aktuellen Werk viele Themen

von Leticia Witte  15.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  14.09.2025 Aktualisiert