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Venusfalle im Iran

Um Zugang zum Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden zu erhalten, freundet sich Mossad-Agentin Tamar (Niv Sultan) mit dessen Umfeld an. Foto: Domniki Mitropoulou/ Apple TV

Die zweite Staffel von Teheran, jenem irrwitzigen Katz-und-Maus-Spiel zwischen der stets etwas wuschig wirkenden Mossad-Agentin Tamar und ihren iranischen Gegenspielern aus Geheimdienst und Revolutionsgarden ist bei Apple TV mittlerweile vollständig zu sehen.

Die Wirrungen und Wendungen der ersten Staffel sind vergessen, Tamar, weiterhin fahrig-verhuscht interpretiert von Niv Sultan, ist raus aus dem Job, aber noch nicht aus dem Feindesland, die Mission ist geplatzt und guter Rat teuer. Sie und ihr Hacker-Freund Milad (Shervin Alenabi) wollen zunächst um jeden Preis Teheran verlassen.

erzbösewichte Doch daraus wird nichts, denn es tauchen neue Erzbösewichte am Handlungshorizont auf, deren Bekämpfung nun wieder Tamar obliegen soll. Sie wird zurückbeordert zu ihrem alten Arbeitgeber, als Lohn winkt die Ausschleusung. So der Handlungsrahmen für Staffel zwei. Aber da hier nicht gespoilert wird, soll es gar nicht mehr so sehr um Inhalte und Handlung gehen, sondern um den Kern der Serie, ihr bisheriges Erfolgskonzept.

Wie in seiner Kultserie Fauda lässt Drehbuchautor Moshe Zonder auch hier einen differenzierten, vielschichtigen Blick auf seine Protagonisten zu. Was bei Fauda zu einem magischen Erfolg, auch in arabischen Ländern, führte, die Empathie, mit der auch Gefühle derer gezeichnet wurden, die für Autor wie Zuschauer Erzfeinde sind, dieser Zauber wirkt bei Teheran nicht.

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Man kann Teheran auf zweierlei Art schauen: gebannt von den permanenten Wenden im Plot, gefesselt von der Spannung und Suggestivkraft, die sich aus der mörderischen Dauerdynamik ergibt. Oder aber man fasst sich eingedenk regelmäßig vorkommender grober Schnitzer von Tamar und anderen Protagonisten fortwährend an den Kopf und fragt sich, wie blöd die Agentin und ihre Helfer eigentlich sein können. Hier beginnt das Problem der zweiten Staffel: Die zwar ungeheuer spannenden und actionreichen Fehlschläge und Aktionen bewegen sich zusehends in Richtung Klischees.

wendungen Da hilft auch das meisterhafte Spiel von Glenn Close nicht hinreichend weiter, die als neue Figur Marjan Montazeri eingeführt wird. In Teheran gibt Close eine Britin mit persischen Wurzeln, die als neue Agentenführerin im Mossad die Dinge richten soll. Das Gegenteil allerdings ist der Fall – und so kippt Teheran trotz der wirklich spannenden Wendungen des Plots ins Groteske. Die große Glenn Close wirkt mitunter eher wie in ihrer klassischen Rolle als Cruella de Vil in 101 Dalmatiner und nicht wie eine handlungs- und sach­orientierte Agentin.

Das gipfelt in einer Szene, in der sie sich der fernen Order aus Israel widersetzt und sich auf eigenes Risiko an die Problemlösung macht. Natürlich wird sie zurückgepfiffen, und der Handlungsstrang endet desaströs.

Teilweise stanzenhaft: Der Plot kippt in Richtung James Bond ab – aber ohne Selbstironie.

Auch die Darstellung der iranischen Jeunesse dorée, die im Halbschatten ihrer Bande von Vätern – sie sind bei den Revolutionsgarden oder anderen Eliten des iranischen Regimes beschäftigt – ihrem hedonistischen Dasein aus Poolpartys, Drogen und Sportwagen nachgeht, wirkt doch bisweilen äußerst aufgesetzt.

Das ist deshalb besonders schade, weil Drehbuchautor Moshe Zonder diese mehrfach gebrochene Atmosphäre hinter den feindlichen Linien eigentlich so meisterhaft hinbekommt.

Die iranischen Dealer und Kids der Oberschicht allerdings wirken doch manchmal recht stanzenhaft, und dass Tamar auch noch als Venusfalle in jenen Kreisen unterwegs sein muss, um über den Sohn des Vaters habhaft zu werden, kippt schon eher Richtung James Bond ab – wenn auch ohne dessen Selbstironie. Gekrönt wird dieser Ausflug ins Irreale dann auch noch mit einer großen schwiegermütterlichen Zuneigung – bis es wieder knallt und alles in die Büx geht.

ACHTERBAHN Tamar und Milad geben in der zweiten Staffel von Teheran leider viel zu häufig – und unfreiwillig – ein schon beinahe slapstickhaftes Pärchen. Das ist schade, weniger wäre hier sicher mehr gewesen, aber die Serienmacher schienen überzeugt gewesen zu sein, ein paar unerwartete Wendungen und reichlich Action würden die Handlung voranbringen. Das tun sie auch, aber eher auf die Art, wie es Achterbahnfahrer gewohnt sind: Abrupte Kurven und etwas Fallhöhe sorgen zwar für Action, aber nach zwei Minuten ist die Wirkung verpufft.

Dabei könnte die Idee, einen Blick hinter die Hermetik des Mullah-Regimes zu werfen und Empathie eben auch für jene zu entwickeln, die das Pech haben, von dem iranischen Terrorregime beherrscht zu werden, genauso gut funktionieren wie die Fauda-Variante in Bezug auf Gaza und Westbank.

Für Staffel drei, über deren Dreh noch keine finale Entscheidung getroffen wurde, wäre es sicher angebracht, die Handlung stärker auszuerzählen und dabei auf den einen oder anderen Knalleffekt zu verzichten.

Was den Zauber von Fauda ausmacht, ist die Brechung der Figuren. Das macht im Ansatz auch Tamar interessant. Aber das Prinzip, jedem Bösewicht in Teheran noch einen netten Sohn oder eine einfühlsame Gattin anzudichten, überzeugt nicht – einzig im Fall des iranischen Geheimdienstlers Faraz Kamali (brillant verkörpert von Shaun Toub) und dessen Frau klappt das. Die Wandlungen dieser Figur werden auch in Staffel zwei akribisch auserzählt. Es sind die stärksten Szenen dieser neuen Episoden. Schade, denn es steckt noch viel Potenzial in den Figuren von Teheran.

Die Staffeln 1 und 2 der Fernsehserie »Teheran« sind beim Video-on-Demand-Dienst Apple TV+ vollständig zu sehen.

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