Jüdisches Museum Köln

Unter Tage

Blick auf die »Archäologische Zone«, in der nun die Bauarbeiten aufgenommen wurden Foto: dpa

Eine Treppe in der Nähe des Spanischen Baus, in dem der Kölner Rat seit Jahrhunderten tagt, führt hinab in ein in Deutschland einzigartiges Museum: Abgestützt durch in den 50er-Jahren errichtete mächtige Betonpfeiler, die längst selbst unter Denkmalschutz stehen, können hier Reste des mächtigsten Baus der Römer am Rhein betrachtet werden.

Das Praetorium war der Sitz des römischen Statthalters der Provinz Niedergermanien, es war das politische Zentrum der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, des späteren Köln, und ist ein Zeichen der seit 2000 Jahren ununterbrochenen Bedeutung der einzigen Millionenstadt Deutschlands, die weder eine Landes- noch Bundeshauptstadt ist.

beeindruckend Das Praetorium war mehr als ein schnöder Verwaltungsbau. Es war ein bewusst gesetztes Zeichen der römischen Überlegenheit, nachdem die Eroberung der von germanischen Stämmen besiedelten Gebiete östlich des Rheins gescheitert war.

»Besucher sollten schon vor dem Gebäude von der römischen Macht beeindruckt werden. Die Germanen kannten nur Holzhäuser, ein so großes Gebäude aus Stein, mit einer später fast 100 Meter breiten Front zum Rhein, gab es in ganz Germanien nicht«, sagt Thomas Otten. Otten ist Archäologe und Projektleiter der Archäologischen Zone und des Jüdischen Museums, eines der zurzeit wohl spektakulärsten und wichtigsten Museumsprojekte Deutschlands.

2019, wenn alles fertig sein soll, werden Besucher auf einem 650 Meter langen unterirdischen Rundgang nicht nur wie heute schon den römischen Statthalterpalast betrachten können, sondern auf etwa 6000 Quadratmetern auch das wieder ausgegrabene Judenviertel aus dem Mittelalter und das ehemalige Goldschmiedeviertel. Zu sehen sein werden die Überreste von Synagoge, Mikwe, Tanzhaus, Hospital und Bäckerei. Ergänzt wird diese Archäologische Zone um das Jüdische Museum.

geschichte 61,5 Millionen Euro wird alles zusammen kosten. Am Ende wird nicht nur die Geschichte einer der ältesten deutschen Städte, sondern auch einer der ältesten jüdischen Siedlungen greifbar werden. Otten will dabei einen weiten Bogen schlagen – von den Anfängen des römischen Köln als Garnisonstadt und Ort der Verständigung der Römer mit dem ihnen ergebenen Stamm der Ubier bis zu den Diskussionen in der Stadt um die Archäologische Zone und das Jüdische Museum. Von den 70er-Jahren bis in die jüngste Zeit reichen die Themen, denen es sich widmen wird.

Köln als Stadt mit einer großartigen Geschichte, die zurückreicht bis in die Antike, eine Stadt, die immer auch ein geistliches und intellektuelles Zentrum war. Das von den Römern erbaute Ubier-Monument, der Dom, die kurz nach 1000 erbaute Synagoge. Und eine Stadt mit einer langen antisemitischen Geschichte. Die nach den historischen Quellen bereits im vierten Jahrhundert in Köln bestehende jüdische Gemeinde dürfte zu den ersten nördlich der Alpen gehört haben. Die Juden lebten in einem Viertel nahe des Praetoriums und des Goldschmiedeviertels. »Die Juden waren damals Teil der Stadt. Beim Bau der späteren Synagoge haben unseren Funden nach auch Handwerker mitgearbeitet, die beim Bau des Doms beschäftigt waren«, sagt Otten.

Das jüdische Leben in Köln erhielt 1349 einen schweren Schlag, als nach schlimmen Pogromen die meisten überlebenden Juden die Stadt verließen. »Nach einer Interimszeit zwischen 1372 und 1424 mit vorübergehender Rückkehr in die Stadt gab es nach 1424 keine jüdische Gemeinde mehr in Köln. Viele Juden zogen in die Umgebung Kölns. In dieser Zeit entstand das Landjudentum in diesem Abschnitt des Rheinlands. Sicher haben sich auch später vereinzelt Juden in der Stadt aufgehalten, aber sie waren kein Teil der Stadtgesellschaft mehr. Juden durften sich bis zur Besetzung der Stadt durch die Franzosen 1794 nicht in Köln niederlassen.«

Diskussionen Im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstand wieder jüdisches Leben in Köln, um dann von den Nazis vernichtet zu werden. Von den 19.500 jüdischen Bürgern Kölns wurden etwa 11.000 von den Nazis ermordet. Die wenigen Überlebenden bauten nach dem Ende des Nationalsozialismus die jüdische Gemeinde der Stadt neu auf. »Wir wollen aber«, sagt Otten, »die Geschichte bis in die Gegenwart zeichnen. Und die war mit der Nachkriegszeit, die aus jüdischer Perspektive beleuchtet werden soll, auch geprägt durch die Auseinandersetzung und Diskussion um den Bau der Archäologischen Zone und des Jüdischen Museums.«

Denn ob dieses Projekt wirklich umgesetzt wird, war lange Zeit alles andere als selbstverständlich, trotz seiner historischen Bedeutung, der Einmaligkeit der hier zu besichtigenden Funde, der Verdichtung von jahrtausendealter Geschichte auf engstem Raum.

Die Idee, das gesamte Areal als Museum zugänglich zu machen, gab es seit den 50er-Jahren, als der Archäologe Otto Doppelfeld 1953 das Praetorium und 1957 die Synagoge ausgrub. Dass das schon seit den 60er-Jahren zugängliche Terrain auch um Teile des Judenviertels und der Synagoge erweitert wird, war Inhalt eines ersten Planungsbeschlusses der Stadt Köln von 2006. Dann setzte ein langer Streit mit erstaunlichen Koalitionen ein.

skeptisch Rechtsradikale Gruppen, aber auch die CDU und eine Initiative um den Szene-Gastronom Werner Peters und Mitglieder der AG Arsch Huh, die Konzerte gegen Rechtsradikalismus organisieren, sprachen sich gegen das Projekt oder zumindest für dessen Verschiebung aus. Auch die alternative Ratsgruppe »Deine Freunde« sah die Archäologische Zone und das Jüdische Museum eine Zeit lang durchaus skeptisch.

Ein geplantes Bürgerbegehren kam jedoch nie zustande, und auch im Rat hatte das Projekt durch die Stimmen von SPD, Grünen, Linken und FDP immer eine Mehrheit. Der Streit ist vorbei, aber er ist nicht vergessen.

Dass sich ausgerechnet gegen ein Projekt, das die jüdische Geschichte Kölns dokumentiert, die mit keiner anderen Stadt Deutschlands vergleichbar ist, ein Bündnis von Rechts bis Links, von bürgerlich bis brutal-braun zusammentat, und das in einer Stadt, die sich bei jeder Gelegenheit für ihre Toleranz und Offenheit selbst feiert, stimmt bis heute mehr als nachdenklich.

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