Wuligers Woche

Und grüß mich nicht Unter den Linden

Alles so schön leer hier. Foto: Getty Images/iStockphoto

Im Englischen gibt es ein Sprichwort: »Familiarity breeds contempt«, sinngemäß übersetzt »Vertrautheit schafft Abneigung«. Womit wir bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland sind.

Die ist mit rund 100.000 Menschen klein. Deshalb kennt man sich häufig untereinander, oft schon seit Jahrzehnten. Und was man dabei von den anderen mitbekommen hat, weckt nicht immer den Wunsch, die Bekanntschaft zu intensivieren. Im Gegenteil: Man ist froh, manche Leute nicht sehen zu müssen.

Zu meinem Glück lebe ich in Berlin: Hier gibt es rund 12.000 Juden, die ich so gut wie nie sehe.

Synagoge Das ist allerdings nicht einfach. Selbst wenn man nie in die Synagoge geht und jüdische Veranstaltungen meidet – im Alltag laufen einem dennoch immer wieder unangenehme Stammesgenossen und -innen über den Weg, denen gegenüber man mit zusammengebissenen Zähnen die äußeren Formen der Höflichkeit wahren muss.

Das liegt an der Urbanistik. Die meisten Städte haben nur eine einzige Mitte, in die alle strömen. Will man einkaufen, zu Veranstaltungen gehen oder ins Restaurant, lässt der Kontakt zu Schmocks und Schmöckinnen sich deshalb leider nicht vermeiden. Das ist nicht nur in Kleinstädten so, sondern auch in München, Frankfurt oder Köln.

Zu meinem Glück lebe ich in Berlin, wo das anders ist. Hier gibt es rund 12.000 Juden, die ich so gut wie nie sehe. Denn die Hauptstadt hat kein wirkliches Zentrum, sondern besteht aus Hunderten quasi autarker Kieze, die auf wenigen Quadratkilometern genug Kultur und Konsum bieten, sodass man sie fast nie verlassen muss – und manchen Personen aus dem Weg gehen kann.

Luftlinie Ein jüngst mit mehreren offenen Briefen hervorgetretener akademischer Vorkämpfer für das Recht auf »Israelkritik« zum Beispiel wohnt nur 1,5 Kilometer Luftlinie entfernt. Persönlich getroffen habe ich ihn das letzte Mal 2018. Zwischen uns liegt der Kurfürstendamm, der Wilmersdorf und Charlottenburg so unüberwindlich trennt wie einst die Mauer Ost und West.

Ein prominenter publizistischer AfD-Versteher hat seine Wohnung ebenfalls fußläufig nah. In Fleisch und Blut sehe ich ihn trotzdem nie. Ich kriege von ihm lediglich seine flammenden Texte gegen eine angeblich drohende Islamisierung mit. Und die muss ich nicht lesen.

Corona sei Dank hat Israel bis September eine Einreisesperre für Touristen aus dem Ausland verhängt.

Der nicht unbekannte Anwalt, der am Wochenende die Covidioten-Demo mit Sympathie begleitete – »eine friedliche … Demonstration mit sechsstelliger Teilnahme ohne eine erkennbare Linie von Verschwörung oder Rassismus« –, begegnet mir nur auf Facebook. Ein Klick, und er ist weg.

Sammeltaxi Die Idylle endet allerdings bei Israelbesuchen, genauer, in der Tel Aviver Sammeltaxistrecke Nummer 4. Die verbindet die touristischen Hotspots der Mittelmeermetropole. Regelmäßig sitzen dort Leute nur zwei Sitze entfernt, denen ich daheim seit Jahren erfolgreich aus dem Weg gehe. Jetzt muss ich sie grüßen. Man ist ja ein höflicher Mensch.

Corona sei Dank hat Israel bis September eine Einreisesperre für Touristen aus dem Ausland verhängt. Bis dahin habe ich meine Ruhe.

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  25.12.2025

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Timothée Chalamet – der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars, der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025