»A Clockwork Orange«

... und dann kam Alex

Alex und seine Droogs mit Moloko-Plus in der Korova-Milchbar ... Foto: imago images/Mary Evans

Schon das erste Bild brennt sich geradezu in die Netzhaut ein: In Großaufnahme starrt ein junger Mann mit diabolischem Blick direkt in die Kamera. Er trägt einen Bowlerhut und - nur an einem Auge - lange falsche Wimpern, dazu weißes Hemd und weiße Hose, Hosenträger und schwarze, martialische Springerstiefel.

Das ist Alex. Mit seinen »Droogs« hängt er in der Korova-Milchbar ab und bereitet sich mit »Moloko Plus« auf den Abend vor. Der besteht vor allem aus Schlägereien, Raub und Vergewaltigung.

Der Film Uhrwerk Orange macht den Zuschauer in einer über zweistündigen Tour de Force zum Begleiter, wenn nicht gar Komplizen, eines abgrundtief bösen, empathie- und gewissenlosen Erzählers mit einer seltsamen Begeisterung für Beethoven.

Dystopie Das Werk des Kultregisseurs Stanley Kubrick (1928-1999) ist eine Mischung aus Gesellschaftsdystopie und greller Pop-Satire voller Stilisierungen: Gewalt- und Sexszenen in Zeitraffer und Zeitlupe, dazu klassische Musikstücke, von Synthesizer-Pionierin Wendy Carlos durch den Fleischwolf gedreht. Vor einem halben Jahrhundert, am 19. Dezember 1971, hatte der Film in New York Premiere, im Februar 1972 kam er in die deutschen Kinos.

In süffisantem Ton kommentiert Alex seine abscheulichen Taten. »Richtig Horrorshow«, wie er es selbst in jenem fiktiven Jugendslang namens »Nadsat« nennt, den Kubrick aus der Romanvorlage von Anthony Burgess übernommen hat.

Die Schriftstellerin Susan Sontag nannte den Film »faschistisch«.


Es gibt keine Guten in der Welt dieses Films: Behörden und Regierung agieren genauso menschenverachtend wie ihre Gegner. Die grausame »Therapie«, der Alex nach einem Mord und Gefängnisaufenthalt unterzogen wird, konditioniert ihn wie einen Pawlowschen Hund: Auf Gewalt reagiert er fortan mit Übelkeit und Lähmung, weshalb er selbst zum wehrlosen Opfer der Gewalt der anderen wird.

Reaktionen Nach seinem großen philosophischen Weltraum-Epos 2001 provozierte Kubrick mit der vergleichsweise kleinen Produktion Uhrwerk Orange 1971 heftigste Reaktionen bei Kritik wie Publikum. Namhafte Kritiker warfen ihm Gewaltverherrlichung vor, die Schriftstellerin Susan Sontag nannte den Film »faschistisch«. Nachdem sich kriminelle britische Jugendliche immer wieder auf den Film bezogen hatten, erhielten Kubrick und seine Familie Morddrohungen und
das Werk wurde in England aus dem Verkehr gezogen.

 »›Uhrwerk Orange ‹ ist sicher Kubricks umstrittenster Film«, sagt Hans-Peter Reichmann, langjähriger Sammlungsleiter am DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main und Kurator einer großen Ausstellung über Stanley Kubrick, die seit 2005 weltweit tourt: »Es ist ein außergewöhnliches Werk - schräg, brutal, verstörend.«

Malcolm McDowell als Alex DeLarge sei grandios in seiner Darstellungskunst. Und, sagt Reichmann: »Die Sprüche und aggressiven Uniformen der Droogs, nicht zuletzt der Einsatz der Musik - etwa Beethovens Sinfonie Nr. 9 oder ›Singin‘ in the Rain‹ - das sind ungeheuer einprägsame, ikonisch gewordene Elemente.«

Auch heute noch verstört Kubricks Werk mit seiner Ambivalenz. Man kann es für ein subversives Meisterwerk halten, weil es die Zuschauer auf so erbarmungslose Weise mit der Faszination des Bösen und der Frage nach dem freien Willen konfrontiert. Man kann aber auch der grausamen Coolness von Alex erliegen, vor allem, wenn man sehr jung ist.

Popkultur So wurde »Uhrwerk Orange« sehr bald zum kontroversen »Kultfilm«. Inspiriert von den Subkulturen seiner Zeit, inspirierte und infizierte er die Jugend- und Popkultur. Manche sagen, Kubrick habe den Weg bereitet für den Punk. Für Steven Spielberg ist »Uhrwerk Orange« gar »der erste Punk Rock Film«.

Tatsache ist: Die »Uniform« der Droogs hat den Kleidungsstil von Punks wie auch von Skinheads maßgeblich mitgeprägt, fließt aber noch Jahrzehnte später auch in die Haute Couture ein, etwa bei Jean-Paul Gaultier oder in Jun Takahashis 2019er Kollektion.

Um einen Abend perfekt enden zu lassen, braucht Alex immer mal wieder »ein kleines bisschen von Ludwig van«.


Das Kino wiederum ließ sich von der stilisierten Gewaltdarstellung inspirieren, wie sie etwa auch in »Natural Born Killers« und bei Tarantino kultiviert wurde. Dazu gehören auch der fiese schwarze Humor und der paradoxe und zuweilen schockierende Einsatz der Musik - beschwingte Klänge zu brutalen Szenen. Soziopathen wie Alex begegnen wir im Kino immer wieder, etwa Heath Ledgers ocarprämiertem »Joker«, der direkt von Malcolm McDowells Darstellung inspiriert war.

Musik Am breitesten sind aber wohl die Spuren, die »Uhrwerk Orange« in der Pop- und Rockmusik hinterlassen hat, besonders im Werk von David Bowie. Nicht nur seine Inkarnation als »Ziggy Stardust« ist davon geprägt, er hat auch noch 2016 auf seinem letzten Album »Blackstar« in »Nadsat« gesungen: »You viddy at the cheena«, heißt es da etwa, auf Englisch »You see the woman«.

Und Popsirene Lana del Rey und die Metaller von Sepultura könnten zwar keine größeren musikalischen Gegensätze darstellen, sind aber ebenfalls Mitglieder im Club der Uhrwerk-Orange-Zitierer. Ganz zu schweigen von den »Toten Hosen«: Ihr Konzeptalbum »Ein kleines bisschen Horrorschau« mit dem Song »Hier kommt Alex« machte 1988 Furore.

Die Reihe könnte nahezu endlos fortgesetzt werden, etwa mit Bands, die nach Begriffen aus »Uhrwerk Orange« benannt sind, von Moloko über Heaven 17 bis zur Frankfurter Punkband Serum 114. Die kleine Ironie dabei: Im Film »Uhrwerk Orange« kommt überhaupt keine Pop- oder Rockmusik vor.

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