Gratulation

Unbestechlich aus Erfahrung

Jubilar: Fritz Stern Foto: dpa

Gratulation

Unbestechlich aus Erfahrung

Dem US-Historiker Fritz Stern zum 85. Geburtstag

von Wolf Scheller  31.01.2011 20:25 Uhr

Der New Yorker Historiker Fritz Stern hat sich im Grunde nie mit etwas anderem als mit Deutschland beschäftigt. Sein umfangreiches Werk gilt der politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklung dieses Landes im 19. und 2o. Jahrhundert. Vor allem aber hat er die Rolle des Außenseiters in Deutschland beleuchtet. Es geht Fritz Stern um das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen, singulär ist vor allem sein Buch über Bismarck und seinen jüdischen Bankier Bleichröder, auf dessen Finanzkraft der Reichsgründer angewiesen war.

Stern hat mit Sympathie, mit Kritik, mit Wohlwollen auch die Entwicklung Deutschlands vor und nach der Wende verfolgt. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer sprach Fritz Stern als erster Ausländer im Deutschen Bundestag zum Gedenktag des 17. Juni 1953. Der Aufstand der Arbeiter in der DDR, so meinte er, sei »kein Aufstand für die Wiedervereinigung«, sondern ein »Aufstand für ein besseres, ein freieres Leben« gewesen. Viele haben dies damals in der alten Bundesrepublik nicht gerne gehört.

Demokratie Unbezweifelt aber blieb die Tatsache, dass hier ein Gelehrter sprach, der immer wieder um Vertrauen in die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre demokratische Entwicklung geworben hat. Er gehörte zu jenen sechs Historikern, die Margaret Thatcher nach ihrer Meinung über ein wiedervereinigtes Deutschlands befragte.

Sterns Votum fiel eindeutig positiv aus. Niemand, so seine Analyse, habe Grund, sich vor einem vereinten Deutschland zu fürchten. Er sah und sieht die in der Bundesrepublik vorhandenen demokratischen Strukturen als beständig an. Aber Fritz Stern bemerkte auch immer wieder den »greifbaren Mangel an Vertrauen in die politische Führung«. Der ständige Niedergang dieses Vertrauens – nicht nur in Deutschland – sei alarmierend, so sein Befund.

Oft hat Fritz Stern, der als Zwölfjähriger mit seinen Eltern wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Breslau in die USA fliehen musste, den biografischen Zugang zu historischen Fragen gewählt. Das ist unter amerikanischen Historikern ohnehin beliebt. 1944 traf Stern auf Albert Einstein. Später erinnerte er sich an diese Begegnung: Einstein fragte »mich nach meinen Plänen.

Einstein Ich sagte, dass ich zauderte, ob ich meiner ursprünglichen Absicht, Medizin zu studieren, weiter folgen oder ob ich besser zur Geschichte überwechseln sollte, einem alten Interesse, das zu einer neuen Leidenschaft geworden war. Für Einstein war dies keineswegs eine Schwierigkeit. Medizin, so sagte er, sei ihrer Methode nach eine exakte Wissenschaft (was ich bezweifle), Geschichte nicht. Ich entschied mich, seinem Rat nicht zu folgen.«

Als Historiker hat Fritz Stern an verschiedenen Universitäten gelehrt, zuletzt an der Columbia University in New York. Unabhängigkeit im Urteil, eine klare, verständliche Sprache, dazu universelle Bildung – es ist ein Vergnügen, mit Fritz Stern zu sprechen, der in Fachkreisen als einer der bedeutendsten amerikanischen Historiker gilt. Wenn er zu Themen der deutschen Gegenwart Stellung nimmt, dann geschieht dies nicht aus einer distanzierten Beobachterposition heraus, sondern aus persönlicher Erfahrung.

Sein Urteil bleibt dabei immer präzise und unbestechlich, oft auch unbequem, etwa wenn er schreibt: »Es ist Teil des deutschen Paradoxons, dass die Deutschen die Geschichte zu einem wesentlichen Mittel der Selbsterkenntnis und der Selbstbildung hochstilisierten, es zugleich aber schwer, wenn nicht gar unmöglich fanden, ihre eigene leidvolle Vergangenheit zu verstehen.«

Kulturkolumne

Was bleibt von uns?

Lernen von John Oglander

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Hollywood

Scarlett Johansson macht bei »Exorzist«-Verfilmung mit

Sie mimte die Marvel-Heldin »Black Widow« und nahm es in »Jurassic World: Die Wiedergeburt« mit Dinos auf. Nun lässt sich Scarlett Johansson auf den vielleicht düstersten Filmstoff ihrer Laufbahn ein

 25.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025