Bayreuther Festspiele

Triumph am Grünen Hügel

Künftiger Chef der Berliner Philharmoniker: Dirigent Kirill Petrenko Foto: dpa

Es ist heiß in Bayreuth. Das Orchester sitzt im unsichtbaren Graben, den sie hier den »mystischen Abgrund« nennen. Es musiziert in T-Shirts und Shorts. Vor ihnen steht Kirill Petrenko: Er gestikuliert, fasst sich an den Bart, summt und horcht – auch dann noch, als die Musik längst verklungen ist. Petrenko schwitzt, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dabei ist er unglaublich cool, wenn er dirigiert. Er hält Wagners Schicksals-Strippen fest in der Hand und schichtet die Leitmotive mit pedantischer Akkuratesse so kunstvoll aufeinander, dass kein Ton im Krach verloren geht.

Wagners Ring des Nibelungen ist eine der längsten Opern überhaupt: zwölf Stunden an vier Abenden. Zur Premiere vor zwei Jahren wurde Frank Castorfs Bayreuther Regietheater-Trash-Inszenierung erbarmungslos ausgebuht: zu viel Tarantino, zu wenig Weihe! Und auch Petrenko stand in der Kritik: ein zu intellektueller Parforceritt, in dem er das Pathos und die allzu große Gefühlsduselei umschiffte. Bei der ersten Bayreuth-Aufführung in diesem Jahr am vergangenen Wochenende klingt Petrenkos Ring wie aus einem Guss. Ein Marathonsog der Menschheitsgeschichte mit allen Schattierungen von Gut und Böse.

Sensibel Dabei wurde die Festspieleröffnung von allerhand aufgeregtem Brimborium begleitet. Nachdem Petrenko zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker gewählt wurde, erging sich das deutsche Feuilleton teilweise in antisemitischen Ausfällen (besonders der NDR, der Petrenko in befremdlichem Wagner-Nazi-Jargon als »ewigen Juden« darstellte). Die große Frage vor diesem Festspiel-Sommer war deshalb, wie der sensible Dirigent mit dem öffentlichen Druck umgehen würde. Alle Ohren waren auf ihn gerichtet. Petrenko ist das Gesprächsthema des Sommers. Auch im Bayreuther Orchester. Doch seine Antwort gab Petrenko allein in der Musik.

»Ihm bei den Proben zuzuschauen, ist faszinierend«, sagt etwa Bayreuths Chordirektor Eberhard Friedrich, »es gibt keinen Ton für ihn, der keine Bedeutung hat.« Ein Orchestergeiger schätzt die »unglaubliche Vorbereitung, sein Gespür, exakt zu wissen, wohin er will«. Petrenko begeistert Musiker und Publikum durch eine Mischung aus unglaublich verkopftem Intellekt und gleichzeitiger, emotionaler Freiheit, aus Wissen und Sinnlichkeit. Diese Melange zeichnet seinen Ring aus.

Nächstes Jahr wird Petrenko nicht nach Bayreuth zurückkehren. Er hat diesen Sommer seine vorerst finale Deutung der Wagner-Tetralogie vorgelegt – und besonders die Berliner Philharmoniker dürfte seine Lesart gefreut haben.

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