Erzählungen

Tohuwabohu in Tel Aviv

Kenaz erzählt vom schleichenden Horror des Alltags. Foto: Luchterhand

Erzählungen

Tohuwabohu in Tel Aviv

Jehoschua Kenaz’ makabre Stories

von Georg Patzer  13.03.2012 07:02 Uhr

Das fängt gar nicht gut an: Krieger lädt zu einer privaten Filmvorführung ein: »Nach dem, was er sagt, ist es was Japanisches, was echt Hartes. Mach dich auf einen Schock gefasst«, sagt Schoresch. Um fünf wollen sie bei Krieger sein, aber sie finden die Straße nicht, irren umher, fragen Passanten und einen Taxifahrer, dann einen Polizisten, der es ihnen erklärt und dann fragt: »Zu Krieger?«

Dort aber ist die Vorführmaschine kaputt, die Gäste müssen warten, bis Kriegers Sohn mit einem Ersatzteil kommt. Schließlich ruft Krieger seine Frau Sarka, die ihre Mutter im Rollstuhl ins Zimmer schiebt. Und dann sitzt die ganze Familie beisammen und schaut sich den Film an: einen Porno, der in Japan spielt. Aber kaum hat er angefangen, klingelt es an der Haustür: der Polizist.

Der 12-jährige Sohn verschwindet über den Balkon, Krieger behauptet, nicht zu wissen, was das für ein Film ist, Schoresch hätte ihn mitgebracht. Dann kommt ein zweiter Polizist, der den Jungen geschnappt hat. Die Ordnungshüter wollen den Film auch sehen. Die Vorstellung geht also wieder los, doch der zweite Polizist schläft sofort ein: Er leidet unter Narkolepsie. In der titelgebenden Erzählung Die Nachmittagsvorstellung passiert ständig Unvorhergesehenes, zum Schluss wird auch noch das Polizeiauto gestohlen.

absurd Es ist eine absurde Welt, in die uns Jehoschua Kenaz immer wieder hineinwirft. Manchmal ist alles normal mit kleinen Abweichungen, wie in der Erzählung vom Soldaten, der gebeten wird, eine Schuld für seinen Vorgesetzten zu übernehmen. Oder in der Story von dem alten Mann, der einen Schlaganfall hat und auf einen launischen, hektischen Arzt trifft. All das ist noch gut vorstellbar.

Aber schon beim Mädchen, das die deutschen Lager überlebt hat und jetzt spürt, dass zwischen ihren Fingern und am Ellbogen »wildes Fleisch« wächst, Fleisch der Deutschen, das sie wegschneiden lassen will, ahnt man den Wahnsinn. Nicht nur den des Mädchens, sondern der Welt, des unberechenbaren, oft bösartigen Lebens.

Denn über Kenaz’ Stories schwebt stets ein leicht bedrohlicher Ton, ein lauernder, kleiner Horror, der jederzeit ins normale Leben einbrechen kann. Umso mehr, als man ihn gar nicht recht festmachen kann. Dabei haben die sehr sicher und ruhig geschilderten Episoden viel Witz, manchmal Slapstick und Situationskomik, manchmal eine feine Ironie. Aber deutlich genug zeigen sie: Das Leben ist nicht sicher. Nicht für Juden. Nicht einmal in Israel.

Jehoschua Kenaz: »Die Nachmittagsvorstellung«. Übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand, München 2012, 272 S., 18,99 €

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025