Redezeit

»Thomas Mann war ein Antisemit«

Michael Degen Foto: Mike Minehan

Herr Degen, Sie haben mit »Familienbande« einen ebenso unterhaltsamen wie bewegenden Roman über Thomas Manns jüngsten Sohn Michael geschrieben. Warum gerade die Familie Mann?
Thomas Mann hat seinen Sohn von Beginn an uneingeschränkt abgelehnt, er ekelte sich geradezu vor ihm. Michael Mann hingegen vergötterte den Vater, sein ganzes Leben war darauf ausgerichtet, ihm zu gefallen. Diese unerwiderte Liebe hat ihn immer verfolgt, daran ist er letztlich zerbrochen. Als Autor und Mensch hat mich dieses Schicksal des ungeliebten Sohnes sowohl schockiert als auch in seinen Bann gezogen.

Woher rührte Thomas Manns Ekel vor seinem Sohn?
Das fing schon damit an, dass er seine Frau Katia vor Michaels Geburt zu überreden versuchte, ihn abtreiben zu lassen. Einzig und allein, weil sie dies ablehnte, sagte er, mehr oder minder resigniert: »Na gut, wir haben schon fünf Kinder, ein sechstes wird uns auch nicht arm machen.« Diese Ablehnung setzte sich dann unvermindert fort, das dokumentieren nicht zuletzt Thomas Manns Tagebücher.

Inwiefern?
In den Aufzeichnungen beschreibt er ausführlich, was er von Michael hielt. Was dieser nach dem Tod seines Vaters da zu lesen bekam, war grausam, es hat ihn ungeheuer verletzt. Ich denke zum Beispiel an die Passage, in der Thomas Mann mit Abscheu beschreibt, wie Katia ihren Sohn Michael nach dessen Geburt an die Brust legte und stillte. Es ist mir unbegreiflich, dass sie ausgerechnet Michael damit beauftragte, die Tagebücher herauszugeben.

Überhaupt war Katia Mann alles andere als der Inbegriff einer jüdischen Mutter.
Das ist richtig, aber sie wollte auch niemals eine jiddische Mamme sein, sie wollte als junge Frau in erster Linie unabhängig sein. Dann jedoch lernte sie Thomas Mann kennen, in den sie, zumindest meiner Ansicht nach, nicht verliebt war. Er indes war sehr an ihr interessiert, zumal sie aus einer reichen Familie stammte. Das spielte für ihn ganz sicher eine große Rolle, denn im Grunde passte er nicht sonderlich gut zu ihr, da er durchaus ein bisschen antisemitisch war.

Der Autor von »Bruder Hitler« und »Deutsche Hörer!«, der vor den Nazis ins Exil floh, ein Antisemit?
Er war ein Antisemit, er mochte die Juden nicht. Er wollte sie freilich keineswegs ausrotten, und er war ebenso wenig Nationalsozialist. Aber ich bin der Meinung, dass es ihm nicht viel ausgemacht hätte, wenn Goebbels ihm erklärt hätte, dass er zurück nach Deutschland kommen könnte und schriftstellerisch freie Bahn bekäme – er wäre zweifelsfrei zurückgekommen. Anfangs hat Thomas Mann nicht einmal daran gedacht, dass er eine jüdische Frau und damit nach der Halacha auch jüdische Kinder hat. Das verwundert schon sehr, auch wenn Katia selbst sich stets dagegen wehrte, als Jüdin bezeichnet zu werden.

Was war der Grund dafür, dass sie ihre Wurzeln leugnete?
Katia Mann hatte Angst vor Ausgrenzung. Vergessen Sie nicht: Es war zu keiner Zeit ein Spaß, in Europa Jude zu sein. Denken sie nur an die Pogrome in Polen oder Russland, lange Zeit vor Hitler. Ganze Städte wurden damals ausgerottet, furchtbar. Noch nach 1945 wurde in Polen ein gesamtes Dorf, in dem fast nur Juden lebten, ausgelöscht.

Zurück zu Michael Mann: Wenn man sich sein Schicksal und das seiner Geschwister vor Augen führt, gewinnt man unweigerlich den Eindruck, dass auf der Familie eine Art Fluch lastete. Worin könnte dieser bestanden haben?
In der gesamten Familie Mann kreiste ausnahmslos alles um den überragenden, ganz und gar ungewöhnlichen Schriftsteller Thomas Mann. In gewisser Weise war er ein Monster, er zog, gleich der Sonne, sämtliche Planeten in seiner Umgebung an und verbrannte sie. Nicht ohne Grund nahmen sich Klaus und Michael das Leben.

In ihrem Buch verwischen oft die Grenzen. Man fragt sich: Ist Michael Manns komplizierter Charakter Folge oder Ursache der väterlichen Ablehnung. Haben Sie eine Antwort?
Ich denke, beides ist der Fall. Hätte der Vater seinen Sohn anders angenommen, wäre aus ihm mit großer Wahrscheinlichkeit ein anderer Mensch geworden.

Ein glücklicherer Mensch?
Unbedingt.


Michael Degen, 1932 in Chemnitz geboren, überlebte den Nationalsozialismus mit seiner Mutter im Berliner Untergrund. Nach dem Krieg absolvierte er eine Ausbildung am Deutschen Theater in Berlin. Er trat an allen großen Bühnen auf und arbeitete mit Regisseuren wie Ingmar Bergman, Peter Zadek und George Tabori zusammen. Seine Autobiografie »Nicht alle waren Mörder« (1999) wurde zum Bestseller; 2007 kam der zweite Teil von Degens Lebenserzählung »Mein heiliges Land. Auf der Suche nach meinem verlorenen Bruder« heraus. Sein neuer Roman »Familienbande« ist im Verlag Rowohlt Berlin erschienen.

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025