Kunst

Surreale Wimmelbilder und ein sanftmütiger Riese

Das Museum Brandhorst in München zeigt rund 100 Werke der Amerikanerin Nicole Eisenman

von Ellen Presser  23.05.2023 22:20 Uhr

»From Success To Obscurity« (2004) Foto: Nicole Eisenman. Hall Sammlung / Courtesy Hall Art Foundation / Bryan Conley

Das Museum Brandhorst in München zeigt rund 100 Werke der Amerikanerin Nicole Eisenman

von Ellen Presser  23.05.2023 22:20 Uhr

Nicole Eisenman ist in der Kunstwelt längst eine feste Größe. Schließlich arbeitet die amerikanische Künstlerin seit rund 30 Jahren ausgesprochen erfolgreich. Bekannt wurde sie durch eine unverwechselbare Kunstinterpretation, die ihre jeweilige Lebensphase und die damit verbundenen gesellschaftspolitischen Zumutungen widerspiegelt, ob im Bereich Malerei, Skulptur oder Comic.

Diesen Lebensabschnitten folgend, präsentiert das Museum Brandhorst in München derzeit rund 100 Arbeiten der freien Künstlerin, die sich von ihren Anfängen 1992 im New Yorker East Village bis heute zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten auf dem Kunstsektor entwickelte.

WEIBLICHE AGGRESSION Etliche ihrer Arbeiten haben etwas Kindliches, Karikaturhaftes. Andere mögen für männliche Betrachter geradezu schmerzhaft sein, weil in ihnen weibliche Aggression, manchmal splattermäßig, dargestellt und ausgetobt wird.

Und dann gibt es wieder großartige Gemälde, die ihre profunde Kenntnis der Bildkomposition vergangener Epochen von Goya und Pieter Brue­gel bis Claude Monet und George Grosz sowie deren Interpretation und Fortführung in der Bildersprache der 2000er-Jahre entdecken lässt. Manche von Eisenmans Werken gleichen geradezu surrealen Wimmelbildern und laden zu Entdeckungsreisen ein. Pinselstrich, Material, auch die Physiognomie der Dargestellten können in einem einzigen Bild so verschieden sein, als würde ein alter italienischer Meister auf Andy Warhol treffen und mit Betty-Boop-Schöpfer Max Fleischer zusammenwirken.

Wie es das Schicksal wollte, wurde Nicole Eisenman 1965 in Verdun geboren, wo 1916 auf französischem Boden eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs stattfand. Ihr Vater war dort als Psychiater im Dienst der US-Armee stationiert. Eisenman wuchs in der Kleinstadt Scarsdale im Bundesstaat New York auf und studierte an der 1877 gegründeten Rhode Island School of Design in Providence, einer der ältesten Ausbildungsstätten für Kunst und Design in den Vereinigten Staaten.

SZENE Nach dem Abschluss ihres Studiums 1987 mit einem Bachelor in Malerei gab es kein Halten mehr. Sie brach auf nach New York, zu neuen Ufern in jedem Sinne des Wortes, und tauchte ein in die lesbisch-feministische Szene der Großstadt. Rasch machte sie sich einen Namen, stellte in Galerien von Los Angeles bis London aus.

Nonkonformistisch in ihrer Bildersprache und Lebensweise wurde sie trotzdem eine preisgekrönte Größe ihres Metiers. Ihr Vorgriff auf Phänomene und Krisen, bevor sich diese breit machen, gibt ihren Arbeiten nahezu etwas Prophetisches: ob sexuelle Befreiung und MeToo-Debatte, Bush-Ära und Irakkrieg, Immobilien-Crash und Verarmung des Mittelstands, Trump-Ära und Corona-Lockdown.

2008 schuf sie das Gemälde »Coping«, ganz gemünzt auf die amerikanische Verelendung. Doch die Menschen in schlammigen Fluten, beobachtet aus umliegenden Häusern, haben im Ahrtal 2021 ebenso elend ausgesehen.

GOLEM Für die Rettung der Menschheit braucht es mindestens einen Golem. Nicole Eisenman hat 2004 eine Figur geschaffen, die der Marvel-Figur »Korg«, einem steinernen, sanftmütigen Riesen, nachempfunden ist, und ihre Arbeit betitelt mit »From Success to Obscurity« (»Vom Erfolg zur Dunkelheit«). Heute braucht es eben mehr als einen Retter aus Lehm – wie zu Zeiten des legendären Rabbi Löw.

Über die Ausstellung in einem der angesagtesten Museen für zeitgenössische Kunst in Deutschland freut sich Eisenman natürlich.
Dabei hat sie, was dieses Land betrifft, nicht nur gute Eindrücke. 2017 wurde ihre Skulptur »Sketch for a Fountain« in Münster teilweise schwer beschädigt – ein Kunstwerk aus fünf überlebensgroßen Figuren, teils aus Bronze, teils aus fragilem Gips. Fünf Familienmitglieder waren in der NS-Zeit aus Deutschland vertrieben worden. Inzwischen lagern die fünf Figuren wieder um den Brunnen in Münster. Eisenman sagte damals, sie habe »Körper in dieses Land zurückgebracht«.

Die Ausstellung von Nicole Eisenman »What Happened« ist bis 10. September im Museum Brandhorst in München zu sehen.

Comic

Es lebe der Balagan!

Die israelische Illustratorin Einat Tsarfati legt ein aufgeräumtes Buch über Chaos vor

von Tobias Prüwer  14.12.2024

Düsseldorf

»Seine Prosa ist durchdrungen vom tiefen Verständnis und empathischer Nähe«

Der Schriftsteller David Grossman wurde am Samstag mit dem Heine-Preis ausgezeichnet

 14.12.2024

Alexander Estis

»Ich bin Pessimist – aber das wird bestimmt bald besser«

Der Schriftsteller über die Folgen der Kriege in der Ukraine und Nahost, Resilienz und Schreiben als Protest

von Ayala Goldmann  12.12.2024

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  12.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Dezember bis zum 18. Dezember

 12.12.2024

London

Hart, härter, Aaron Taylor-Johnson

Ein Marvel-Schurke zu sein, ist körperlich extrem anstrengend. Dies räumt der jüdische Darsteller nach dem »Kraven The Hunter«-Dreh ein

 11.12.2024

PEN Berlin

»Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«

Aus Protest gegen Nahost-Resolution: Susan Neiman, Per Leo, Deborah Feldman und andere verlassen den Schriftstellerverein

 11.12.2024

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024