Streit um »Judenstern«-Kolumne

Harald Martenstein verlässt den »Tagesspiegel«

»Ich habe meine Meinung nicht geändert. Vielleicht irre ich«: Harald Martenstein Foto: imago/Horst Rudel

Der langjährige »Tagesspiegel«-Kolumnist Harald Martenstein verlässt die Zeitung nach einer heftigen Debatte um einen seiner Texte. »Dies ist meine letzte Kolumne für diese Zeitung, mit der ich fast genau mein halbes Leben verbracht habe«, schreibt Martenstein auf Seite eins der »Tagesspiegel«-Sonntagsausgabe.

Es sei kein Geheimnis, dass die Chefredaktion des »Tagesspiegels« sich in aller Form von einem seiner Texte distanziert und ihn gelöscht hat: »Ich war in diese Entscheidung nicht eingebunden. So etwas bedeutet in der Regel, dass man sich trennt, den Entschluss dazu habe ich gefällt.«

In der viel kritisierten Kolumne vom 6. Februar bezeichnete Martenstein das Tragen von »Judensternen« auf Corona-Demonstrationen mit der Aufschrift »Ungeimpft« zwar als »eine Anmaßung, auch eine Verharmlosung« und »für die Überlebenden schwer auszuhalten«, aber »sicher nicht antisemitisch«, weil die Träger sich mit verfolgten Juden identifizierten. Der Text wurde innerhalb der Redaktion und auch von der Leserschaft scharf kritisiert. Die Chefredaktion räumte später ein, dass er so nicht hätte veröffentlicht werden dürfen und zog ihn online zurück.

Wie immer habe er geschrieben, was er denkt, schreibt der 68-Jährige in seiner Abschiedskolumne. Leute, die »Judensterne« benutzten, um sich zu Opfern zu stilisieren, seien dumm und geschichtsvergessen, Leute, die auf Demos zur Vernichtung Israels aufrufen, seien etwas gefährlicher: »Ich habe meine Meinung nicht geändert. Vielleicht irre ich. Wo man glaubt, nur man selbst sei im Besitz der Wahrheit, bin ich fehl am Platz.«

Martenstein schrieb seit 1988 für die Zeitung. Außerdem ist er Kolumnist des »Zeit«-Magazins. epd/ja

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024