Museum

Streit um den Welfenschatz

Armreliquiare sind Teil des Welfenschatzes. Foto: dpa

Die Limbach-Kommission hat am Mittwoch ihren wohl bisher schwierigsten Fall auf dem Tisch: Die Erben jüdischer Kunsthändler begehren den Welfenschatz zurück, der in den 1930er-Jahren an Berliner Museen verkauft worden war. Der Schatz sei 1935 »unter Wert« verkauft worden – für 4,25 Millionen Reichsmark waren die Stücke nach Berlin gegangen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hingegen glaubt, diese Kaufsumme sei angemessen gewesen, das Geschäft rechtmäßig abgeschlossen.

Bereits im September 2013 sollte der Fall verhandelt werden. Doch weil die Anwälte der Erben kurz zuvor neue Gutachten einreichten, wurde der Termin verschoben. Das Schlichtungsgremium unter dem Vorsitz von Jutta Limbach, ehemals oberste Verfassungsrichterin der Bundesrepublik, spricht in strittigen Restitutionsfällen Empfehlungen aus. Allerdings müssen beide Seiten zustimmen. Angerufen wurde die Limbach-Kommission in diesem Fall von der Erbenseite. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz willigte ein, obwohl sie für erwiesen hält, dass es sich nicht um NS-Raubgut handelt.

Börsenkrach Der Welfenschatz, einst Kirchenschatz der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig, wurde über Jahrhunderte zusammengetragen. Seit dem 17. Jahrhundert gehörte er dem Welfenhaus. In der Weimarer Republik versuchten die Herzöge, den Schatz zu Geld zu machen, zunächst ohne Erfolg. Erst 1929, kurz vor dem Börsenkrach, übernahm ein Konsortium Frankfurter Kunsthändler den Schatz. Auch sie hatten Mühe, den Bestand von 82 Objekten zu veräußern. Die Verkaufsbemühungen zogen sich über mehrere Jahre hin, 40 Stücke konnten schließlich an verschiedene Museen und Privatleute vor allem in den USA veräußert werden.

Mitte 1935 kaufte schließlich der Preußische Staat, Träger der Berliner Museen, die verbliebenen 40 Teile des Schatzes, zwei weitere Objekte konnten wenig später hinzugekauft werden. Ausgestellt war der Welfenschatz im Schlossmuseum. Im Krieg wurde er ausgelagert und kehrte in den 1950er-Jahren mit Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Berlin zurück. Seither ist er im Kunstgewerbemuseum öffentlich ausgestellt.

Die Erwerbungsgeschichte ist gut dokumentiert. Das Restitutionsbegehren der Erben aus dem Jahr 2008 machte dennoch neue Recherchen notwendig. Die Anwälte der Erben von den vier beteiligten Kunsthändlern Hackenbroch, Rosenbaum, Rosenberg und Goldschmidt argumentieren, das Geschäft sei unter Druck zustande gekommen. Die Kunsthändler seien von der NS-Verfolgungspolitik bedroht und damit ohne Alternative gewesen. Ohne Frage: Das Konsortium stand unter wirtschaftlichem Druck. Nur etwa die Hälfte der Objekte war zu Beginn an ein Museum in Cleveland und an amerikanische Privatsammler verkauft worden.

preis Den Rest des Schatzes lagerten die Händler in Amsterdam ein. Da habe der NS-Staat keinen Zugriff gehabt, argumentiert die Stiftung. Der Berliner Museumsdirektor sei zudem mehrfach nach Amsterdam gereist, um die Stücke abzuholen, auch ein nicht von den Rassengesetzen betroffener Kunsthändler hätte zu der Zeit keinen besseren Preis erzielen können.

Jüngst ist der Kaufvertrag zwischen dem Konsortium und den Welfen aufgetaucht. Er belegt, dass der gesamte Welfenschatz 1929 für 7,5 Millionen Reichsmark den Besitzer wechselte. Der Preußische Staat kaufte die Hälfte der Objekte 1935 für 4,25 Millionen, das macht immerhin mehr als die Hälfte der Ankaufssumme aus. Zudem ist über Archivalien nachgewiesen, dass die Verkäufer über die gezahlte Summe frei verfügen konnten.

händler Neue Dokumente belegen allerdings auch, dass an dem 1929 gebildeten Konsortium weitere Händler beteiligt waren, darunter der Wiesbadener Juwelier Hermann Netter, der ein Viertel der Kaufsumme an die Welfen zur Verfügung gestellt hatte. Der Vertrag, der genau belegen könnte, von wem und zu welchen Anteilen Sicherheiten beim Kauf gewährt wurden, fehlt nach wie vor.

Die Anwälte des Restitutionsbegehrens, Markus Stötzel und Mel Urbach, vertreten nur einen Teil der Beteiligten. Die Limbach-Kommission steht vor ihrer bislang größten Herausforderung: Vor dem Hintergrund des Münchner Kunstfundes Gurlitt und einer international aufgeheizten Stimmung ist die Bundesrepublik unter hohem moralischen Druck. Der Schiedsspruch soll einer fairen und gerechten Lösung dienen – auch im Sinne des Museums. Dies ist unter den gegebenen Umständen nur schwer vorstellbar.

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025